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Austrittszahlen, müde Pastor:innen und ein fehlender Kausalzusammenhang

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Unser gegenwärtiger Kirchenvorstand hat zu Beginn seiner Amtsperiode vor fünf Jahren eine interessante Entscheidung getroffen: In jeder Sitzung sollen am Ende die Zahlen und Fakten des vergangenen Monats genannt werden: Taufen, Verstorbene, Beerdigungen, Eintritte, Austritte etc. Ich sag mal so: Einen deprimierenderen Ausklang des gemeinsamen Beisammenseins direkt vor dem abschließenden Vaterunser hätten wir uns vermutlich gar nicht ausdenken können. Die besseren Sitzungen waren noch die, in denen es dann hieß: „Folgende fünf Personen sind ausgetreten, ABER wir hatten auch zwei Eintritte!“ Inzwischen hängen wir die Zahlen meistens einfach nur noch ans Protokoll an – die allgemeine Nachrichtenlage in der Welt ist ja schon traurig genug. 

Unsere Gemeinde spiegelt damit einen Trend, der deutschlandweit zu beobachten ist – und das nicht erst seit gestern. Die Kirchen verlieren massiv an Mitgliedern. 2022 gab es erneut neue Rekordzahlen mit ungefähr 900.000 Menschen, die den Kirchen den Rücken gekehrt haben. Das sind mehr Leute als in Frankfurt wohnen – sogar wenn man die beiden Städte an Main und Oder zusammenzählt! 

Schon wenn mich Leute vor 10 Jahren ängstlich auf Austrittszahlen aufmerksam gemacht haben, habe ich ihnen gesagt: „Mein subjektives Gefühl ist: Das ist erst der Anfang und es wird sich noch wahnsinnig beschleunigen.“ Das war wahrscheinlich auch gar keine besonders nennenswerte prophetische Leistung und meine Antwort ist auch heute immer noch immer dieselbe. Da sind so ganz subjektive Eindrücke wie die Familie, die mir erzählt: „Wir sind eigentlich nur noch in der Kirche, weil es sonst Oma traurig machen würde, wenn wir austreten. Aber wenn Oma nicht mehr ist …“ Auch die Tatsache, dass Kirchenmitglieder seit letztem Jahr nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland stellen, sondern jetzt auch ganz offiziell die Minderheit sind, hat nicht nur einen psychologischen Effekt: Es ist einfach keine Schande (im Sinne von gesellschaftlicher Ächtung) mehr, aus der Kirche auszutreten, sondern ziemlich normal. Exot ist, wer noch bleibt.