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Stellvertretend glauben

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Ich komme aus einer Tradition, in der das eigene Bekenntnis eine wichtige Rolle spielt. Sich zu etwas zu bekennen, ist ja auch etwas Wunderbares: Wenn eine:r zu dem steht, was ihr oder ihm wichtig ist. Wenn jemand Zeugnis davon gibt (so sagten wir früher), was sie oder ihn glauben und lieben und hoffen lässt. Das hat eine große Kraft. Ich selbst bin glaube ich auch jemand, der in seinem Beruf (und auch sonst) vergleichsweise viel von eigenen Erfahrungen; von Schwerem und Leichtem; von dem, was mich erfüllt, preisgibt.

Nicht immer aber kommt das eigene Bekenntnis leicht über die Lippen. Es gibt Zeiten in unserem Leben, da fällt es schwer zu glauben. Wir sagen dann vielleicht noch die Worte und spüren gleichzeitig: unser Empfinden und unser Leben deckt sie nicht (mehr).

In einer besonders schweren Zeit meines Lebens vor einigen Jahren habe ich das so erlebt. In dieser Zeit habe ich wiederholt Samstags vor einem weißen Blatt Papier oder einem leeren Word-Dokument gesessen und ich wusste nicht, was ich am Sonntag noch meiner Gemeinde sagen könnte. Ich hatte in dieser Zeit keine eigenen Worte der Hoffnung, der Liebe und des Glaubens.

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Kirche und Antisemitismus (Teil 4 – Das Mittelalter)

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Die Nazis haben sich im Dritten Reich nicht alles selber ausgedacht. Es ist erstaunlich, wie viele Maßnahmen gegen Jüd:innen sie aus kirchlichen Synoden und Konzilen einfach per copy&paste übernehmen konnten. Eine kleine Zusammenschau des Schreckens aus Alter Kirche und Mittelalter:

Die Synode von Elvira (4. Jh) verbietet sowohl die Ehe und den Geschlechtsverkehr zwischen Christen und Juden als auch die Tatsache, dass beide gemeinsam Speisen einnehmen dürfen. 200 Jahre später wird Juden verboten, öffentliche Ämter zu bekleiden (Synode von Clermont), christliche Mägde oder Knechte zu haben und sich während der Karwoche auf der Straße zu zeigen (3. Synode von Orleans). 692 wird Christen verboten, jüdische Ärzte zu Rate zu ziehen (Trullanische Synode) und nach der Synode von Narbonne im Jahr 1050 ist es Christen nicht erlaubt, bei Juden zu wohnen. Das 4. Laterankonzil (1215) verpflichtet Juden zum Tragen eines gelben Zeichens an ihrer Kleidung. In Wien wird 50 Jahre später Christen die Teilnahme an jüdischen Feiertagen verboten und Juden umgekehrt, mit Christen über ihren Glauben zu sprechen. Die Synode von Breslau ordnet im selben Jahr an, dass Juden nur in Judenvierteln wohnen dürfen. Und schließlich verbietet das Konzil von Basel 1434 Juden den Erwerb von akademischen Graden.

In der deutschen Gesetzgebung zwischen 1933 und 1941 finden sich exakt diese Verbote und Anordnung wieder. Schon vor den Nationalsozialisten hatten diese sich allerdings die Christen ausgedacht.

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Kirche und Antisemitismus (Teil 5 – Martin Luther) 

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Der Reformator bekommt einen eigenen Beitrag. Nicht weil er der einzige Antisemit seiner Zeit gewesen wäre, aber aufgrund seiner großen Bedeutung (nicht nur) für uns Deutsche und der Schwere seiner antisemitischen Auslassungen.

Zuerst muss allerdings gesagt werden, dass es verschiedene Phasen in Luthers Verhältnis zum Judentum gibt. Der Luther in seinen letzten Jahren ist der Schlimmste. Aber auch in seinen erträglicheren Ausführungen möchte er immer noch aus allen Juden am liebsten Christen machen. Warum radikalisiert sich am Ende seine Position noch zusehends? Die meisten Forscher:innen glauben, dass Luther einfach enttäuscht war. Er hatte auf Missionserfolge unter Jüd:innen gehofft, die auch die Wahrheit der Reformation gegenüber der Papstkirche ans Licht bringen sollten. Es kam anders und so schrieb Luther im Januar 1543 die Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“. Darin fordert er sieben Dinge:

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Kirche und Antisemitismus (Teil 3 – Die Alte Kirche)

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Gab es im Neuen Testament noch Interpretationsspielraum, wird es nun in der Alten Kirche bei den sog. altehrwürdigen Kirchenvätern ziemlich heftig eindeutig. Zum Beispiel bei Bischof Ambrosius von Mailand (4. Jh) der noch heute als Heiliger verehrt wird und nach dem Niederbrennen einer Synagoge durch christliche Fanatiker schreibt: „Was soll der Wiederaufbau einer Synagoge? Ort, des Unglaubens, Heimstätte der Gottlosen, Schlupfwinkel des Wahnsinns, der von Gott selbst verdammt worden ist. […] Mit den Ungläubigen müssen auch die Äußerungen des Unglaubens verschwinden.“

Oder der heilige Bischof Chysostomus (4./5. Jh): „Nenne einer [die Synagoge] Hurenhaus, Lästerstätte, Teufelsasyl, Satansburg, Seelenverderb, jedes Unheil gähnenden Abgrund oder was auch immer, so wird er noch weniger sagen, als sie verdient hat […] Wie ein gemästetes und arbeitsunfähiges Tier taugen [die Juden] nur noch für die Schlächterei.“

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Kirche und Antisemitismus (Teil 2 – Das Neue Testament)

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Wenn man sich damit beschäftigten will, seit wann es Antisemitismus in der Kirche gibt, fängt man am besten ganz vorne an. Also in der Zeit, als sich die ersten als Christ:innen als ebensolche verstanden haben. Sofort war damals natürlich die Frage auf dem Tisch, wie sich diese neue religiöse Gemeinschaft zum Judentum positionieren würde. Jesus war ja selber Jude (vergessen viele Menschen heute oft). Die, die ihm nachfolgten und sich auf ihn bezogen, waren erstmal genauso Jüd:innen. Aber zunehmend kamen eben auch Menschen dazu, die eine andere Herkunft hatten. Die Texte des Neuen Testaments spiegeln das wieder – manche sind von Christusnachfolger:innen jüdischer Herkunft geschrieben, andere von Menschen anderer Herkunft In der Bibel werden sie häufig „Heidenchristen“ oder einfach „die Völker“ genannt.

Und so finden sich Texte im Neuen Testament, die besonders die Kontinuität vom Judentum zum Christentum betonen. Jesus ist hier ein vollmächtiger jüdischer Rabbi. Andere fokussieren mehr auf das Neue und betonen die Diskontinuität. Und noch mehr als das: es entstehen Texte und es werden antijüdische Stereotype verwendet, die schon damals im Umlauf waren und seitdem durch alle Zeiten weitertradiert wurden.

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Kirche und Antisemitismus (Teil 1 – Der Begriff)

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Kann man, wenn man sich 2000 Jahre Christentum anschauen möchte, überhaupt von „Antisemitismus“ sprechen? Mindestens zwei Anfragen daran könnte es geben:

  1. Der Begriff „Antisemitismus“ ist ja noch keine 150 Jahre alt. Wenn wir also jetzt geschichtlich weiter zurückgehen als ans Ende des 19. Jahrhunderts, ist es dann nicht anachronistisch, das Wort zu verwenden?
  2. Warum eigentlich „AntiSEMITismus? Es geht doch eigentlich um Hass auf Jüdinnen und Juden, nicht auf die ganze semitische Sprach- und Völkerfamilie. Könnte man nicht besser von „Antijudaismus“ sprechen und wäre das nicht genauer?

Zum ersten Einwand: Manche Wissenschaftler:innen benutzen den Begriff nur für antijüdische Phänomene, die seit dem 19. Jahrhundert zu beobachten sind und betonen damit besonders den rassistischen Charakter des Antisemitismus, der eben im 19. Jahrhundert aufkam. Vorher gab es andere ideologische Begründungen für Hass gegen Jüdinnen und Juden. Sie sagen, dass sich dadurch noch einmal etwas maßgeblich verändert hat. Andere dagegen sprechen auch bei früheren Formen von Judenfeindschaft von Anitsemitismus. Sie wollen damit zeigen, dass es bestimmte Motive und Formen des Judenhasses quer durch alle Zeiten gegeben hat und sie einfach immer wieder neue Begründungsformen gefunden haben. Weil es mir in den folgenden Beiträgen nun genau darum geht – nämlich zu zeigen, wie schon ganz früh und bis in die jüngste Vergangenheit das Christentum die Judenfeindschaft ihrer Zeit nicht nur spiegelt, sondern sogar maßgeblich gefördert und gebildet hat, benutze ich den Begriff Antisemitismus auch rückblickend für frühere Zeiten.

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Trennung als Scheitern und Chance zum Teil-Frieden

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Manche Dinge im Leben versucht man ja zuerst zu verstehen und dann handelt man im Anschluss entsprechend. Manche Dinge passieren einem auch einfach und man versucht dann im Anschluss, sie immer besser zu verstehen. So geht es mir mit der Erfahrung der Trennung.

Trennung kann man im Folgenden partnerschaftlich verstehen. Aber es gibt ja auch andere Arten der Trennung – in Freundschaften, beruflich, in Familien. Vielleicht können diese Gedanken zu verschiedenen Kontexten passen, in denen Menschen sich trennen. 

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Rassismus (Teil 11) – Repräsentation

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Zeit, nach etwa einem Jahr diese Reihe fortzusetzen. Ich hab ja auch in den Beiträgen zuvor immer versucht, von mir zu erzählen. Von der Entdeckung eigener rassistischer Muster, von blinden Flecken und vom Versuch, auch in meinen Kontexten (z.B. der Kirche, in der ich arbeite) einen neuen Blick einzuüben, auf BIPoC zu hören, von ihnen zu lernen und an den Stellen, an denen mir Dinge auffallen, möglichst mutig zu sein und diese anzusprechen.

Um es gleich vorweg zu sagen: Es könnte besser laufen. Einige Dinge sind mir gelungen. An anderen Stellen hab ich geschwiegen und mich anschließend geschämt. Warum ist das so? Zuerst einmal und immer noch: Weil ich es mir als weißer Mann schlichtweg leisten kann. Ich hab ne Menge Privilegien und ich kann mir überlegen, ob ich gerade genug Lust und Kraft habe für Auseinandersetzungen, die unangenehm sind. Meistens ist mir dann schnell bewusst, dass allein das schon so ungerecht ist, dass BIPoC genau diesen Luxus eben nicht haben. Aber manchmal denke ich auch insgeheim: Diesen Kampf erspare ich mir jetzt mal gerade. Naja, und dann ist es auch so, dass ich immer noch am Anfang eines Lernprozesses bin. Manchmal vergesse ich das und fühl mich wie so ein Antirassismus-Experte, weil ich ein paar Blog-Posts zum Thema geschrieben habe, aber die Wahrheit ist: Mir fallen manchmal selbst die Klassiker des Alltagsrassismus immer noch nicht auf.

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Laufen für andere

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Seit einigen Monaten laufe ich für andere Menschen.  

Schon dieser Satz ist vermutlich erklärungsbedürftig. Manche Menschen laufen zum Abnehmen. Andere, um den Kopf freizubekommen. Wieder andere, um sich auf einen Wettbewerb vorzubereiten. Aus all diesen Gründen bin ich in der Vergangenheit auch schon gelaufen. Seit einiger Zeit laufe ich nun für andere. Auf diese Idee hat mich Christian Andrees gebracht. Er nennt das „Laufbuddy“ (Lauf-Gefährte). 

Die Idee ist Folgende: Aus meinem Umfeld (Kirchengemeinde, soziale Medien, Familie, Bekannte) geben mir Menschen Bescheid, wenn sie sich wünschen, dass ich für sie oder für jemanden, die/der ihnen am Herzen liegt, laufe. Meistens folgt ein kleiner Austausch, wenn es ein bestimmtes Anliegen gibt. Und dann nehme ich diesen Menschen innerlich mit auf meinen Lauf. Weil ich mich in jedem Moment meines Lebens auch Gott verbunden weiß, wird das Laufen zum Gebet. Ich fühle mich Gott verbunden und dem Menschen und weiß auch sie oder ihn in Gottes Gegenwart.  

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Verflüssigung von Kirche

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In der Kirche gelten häufig klare Grenzen: Entweder du bist Mitglied in der Kirche oder du bist es nicht. Und an diesem Status hängen dann auch Folge-Fragen: Entweder darfst du Pat*in bei der Taufe des Kindes deiner besten Freundin sein oder eben nicht. Entweder darfst du deine*n konfessionslose*n Partner*in kirchlich heiraten oder nicht. Entweder darfst du zum Abendmahl kommen oder nicht. Bei deiner eigenen Bestattung kannst du Glück haben, falls du eine*n Pastor*in findest, der da mal ne Ausnahme macht. Klare Regeln. Klare Grenzen. So haben wir Kirche organisiert – als eine Art Club mit Vorteilen für die Clubmitglieder. 

Wenn wir uns in diesen Zeiten darin ausprobieren, alte Paradigmen, Logiken und Selbstverständlichkeiten von Kirche in Fragen zu stellen, ggf. sogar hinter uns zu lassen und neue Räume zu betreten, dann bietet das auch die Möglichkeit, Grenzen dieser Art zukünftig zu vermeiden und neue Rollenverständnisse einzuüben (die „neuen Räume“ könnt ihr im Folgenden metaphorisch oder konkret denken, das ist egal).