In der Kirche gelten häufig klare Grenzen: Entweder du bist Mitglied in der Kirche oder du bist es nicht. Und an diesem Status hängen dann auch Folge-Fragen: Entweder darfst du Pat*in bei der Taufe des Kindes deiner besten Freundin sein oder eben nicht. Entweder darfst du deine*n konfessionslose*n Partner*in kirchlich heiraten oder nicht. Entweder darfst du zum Abendmahl kommen oder nicht. Bei deiner eigenen Bestattung kannst du Glück haben, falls du eine*n Pastor*in findest, der da mal ne Ausnahme macht. Klare Regeln. Klare Grenzen. So haben wir Kirche organisiert – als eine Art Club mit Vorteilen für die Clubmitglieder. 

Wenn wir uns in diesen Zeiten darin ausprobieren, alte Paradigmen, Logiken und Selbstverständlichkeiten von Kirche in Fragen zu stellen, ggf. sogar hinter uns zu lassen und neue Räume zu betreten, dann bietet das auch die Möglichkeit, Grenzen dieser Art zukünftig zu vermeiden und neue Rollenverständnisse einzuüben (die „neuen Räume“ könnt ihr im Folgenden metaphorisch oder konkret denken, das ist egal).

Ich will kurz beschreiben, wie ich das bei unserer Initiative ZwischenZeit erlebe, dass sich Kirche gewissermaßen „verflüssigt“. 

Anbietende und Teilnehmende

Wenn Neues entsteht, dann halten Menschen häufig schnell Ausschau nach neuen Angeboten oder Veranstaltungen. „Was macht ihr denn da?“ „Gibts ein Programmheft?“ Solche Veranstaltungen – die werden VON einigen vorbereitet und sind dann FÜR andere gedacht. 

Dagegen ist nichts einzuwenden. Wenn aber immer wieder dieselben Menschen für andere etwas vorbereiten, entsteht schnell so etwas wie eine (ehrenamtliche oder hauptamtliche) Gruppe von Mitarbeitenden/Anbietenden und eine andere Gruppe von Teilnehmenden/Konsumierenden. 

Neue Räume bieten die Möglichkeit, diese nicht zu schnell zu besetzen. Auch nicht mit neuen Veranstaltungsformaten. Stattdessen können diejenigen, die einen Raum eröffnen, Unterstützer*innen für diejenigen sein, die diese bespielen möchten. Anbietende oder Veranstaltende sind dann immer wieder unterschiedliche Menschen oder Gruppen. Auch meine eigene Rolle ändert sich: Mal biete ich etwas an. Mal nehme ich teil. 

Wenn man am Ende doch gerne Rollen unterscheiden möchte, kann man von Kuratierenden und (Be)Spielenden des Raums sprechen. Diese Unterscheidung ist dann aber anders als bei Anbietenden und Teilnehmenden nicht so sehr eine Unterscheidung zwischen „wir“ und „die“. Sie dient der Ermöglichung. 

Gastgebende und Gäste

Aus dem Beschriebenen wird schon deutlich: Auch die Unterscheidung zwischen Gastgebenden und Gästen entfällt (sehr schnell). 

So machen wir es in der ZwischenZeit: Wenn Du zum ersten mal den Raum betrittst, dann zeigen wir Dir den Kühlschrank und die Kaffeemaschine und erzählen Dir das W-Lan-Passwort und den Schlüsselcode. So weißt Du, wie Du beim nächsten mal selber reinkommst und es Dir gut gehen lassen kannst. Beim ersten Besuch bist Du Gast, beim zweiten mal schon Gastgeber*in (und zeigst anderen die Kaffeemaschine). Es ist Dein Raum. 

Dies geschieht aus einer Logik des Schenkens und Beschenkt-Werdens heraus, aus einer Praxis des Vertrauens und einer Bereitschaft zum Teilen. Auch zum Teilen von Verantwortung und Identifikation. Im besten Fall wird es nicht nur DEIN Raum, sondern UNSER gemeinsamer Raum. Aber kein UNSER in einem abgeschlossenen Sinn (und einer erneuten Club-Mentalität), sondern in großer Offenheit für den jeweils nächsten Gast.

Vorbereitung und Durchführung

In der Initiationsphase eines neuen Projekts stellt sich manchmal die Frage: Wann starten wir? Wann gibts den Kick-Off? Wann gehen wir an die Öffentlichkeit? Und in der Folge fragen wir uns: War das, was wir getan haben, erfolgreich? Haben wir eine bestimmte Anzahl von Menschen, die wir erreichen wollten, auch wirklich erreicht? 

Auch hier ist eine neue Art, auf die Dinge zu schauen, möglich, indem schon das Träumen, Nachdenken und Planen als wichtiger Teil des Prozesses wahrgenommen wird. Schon das Imaginieren von etwas Neuem, schon die Gemeinschaft und der Spaß innerhalb einer Planungsgruppe, schon das Einbringen von Fähigkeiten und Begeisterung ist die Sache selbst. Es geht gar nicht so sehr um das Produkt, sondern um den Prozess.

Den Prozess so zu betrachten hilft dann auch dabei, weniger zwischen Anbietenden und Teilnehmenden zu unterscheiden. Vielleicht gibt es die einen, die von Anfang an dabei waren, und die anderen, die dazugestossen sind, während sich von den ersten vielleicht schon wieder einige verabschiedet haben (und später wieder hinzustossen oder auch nicht). 

Wenn der Raum so etwas wie eine Herberge ist, können die ihn besuchenden Menschen als Pilgernde verstanden werden, die frei sind, unabhängig von anderen zu kommen und zu gehen. In der Zeit, in der sie da sind, bereichern sie die Gemeinschaft. Einfach, indem sie da sind. 

Wenn weniger stark zwischen Vorbereitung und Durchführung unterschieden wird, kann dies auch helfen, Enttäuschungen (z.B. aufgrund niedriger Teilnehmenden-Zahlen) zu vermeiden. Schon für den Prozess hat sich die Sache gelohnt. Es ist etwas für die Beteiligten entstanden. Unsere Motivation entsteht viel mehr durch „Wir haben Lust auf den gemeinsamen Weg“ als durch die Frage „Wird jemand zu uns kommen?“

Diese Verflüssigung von Dingen und Rollen finde ich wunderbar. Ich erlebe sie als entlastend und befreiend. Von so einer Art von Kirche bin ich gerne teil. Einer Kirche, in der wir unbekümmert Vertrauen riskieren, anderen Räume eröffnen und mit einer Leichtigkeit gestalten ohne zu zementieren.