Laufen für andere

Seit einigen Monaten laufe ich für andere Menschen.  

Schon dieser Satz ist vermutlich erklärungsbedürftig. Manche Menschen laufen zum Abnehmen. Andere, um den Kopf freizubekommen. Wieder andere, um sich auf einen Wettbewerb vorzubereiten. Aus all diesen Gründen bin ich in der Vergangenheit auch schon gelaufen. Seit einiger Zeit laufe ich nun für andere. Auf diese Idee hat mich Christian Andrees gebracht. Er nennt das „Laufbuddy“ (Lauf-Gefährte). 

Die Idee ist Folgende: Aus meinem Umfeld (Kirchengemeinde, soziale Medien, Familie, Bekannte) geben mir Menschen Bescheid, wenn sie sich wünschen, dass ich für sie oder für jemanden, die/der ihnen am Herzen liegt, laufe. Meistens folgt ein kleiner Austausch, wenn es ein bestimmtes Anliegen gibt. Und dann nehme ich diesen Menschen innerlich mit auf meinen Lauf. Weil ich mich in jedem Moment meines Lebens auch Gott verbunden weiß, wird das Laufen zum Gebet. Ich fühle mich Gott verbunden und dem Menschen und weiß auch sie oder ihn in Gottes Gegenwart.  

Jeder dieser Läufe entwickelt sich anders. Manchmal ergibt sich eine Art Thema. Manchmal setzt sich in mir ein bestimmtes Wort fest. Manchmal entsteht ein Bild. Oder eine Emotion. Mal ist es intensiv und manchmal auch nicht. Nach dem Lauf notiere ich, was ich erlebt habe und teile es zusammen mit einem Foto vom Lauf auf Instagram. Zum Beispiel am Anfang März bei einem meiner ersten Läufe:  

„Heute Mittag war ich wieder Laufbuddy. Ich bin für meine Tante Gertraude gelaufen. Bei jedem Lauf, so empfinde ich es, ergeben sich unterschiedliche Themen aus der Verbindung von Strecke, Wetter, eigenem Befinden, Musik, Natur und der Verbindung zu der Person, für die ich laufe, und ihren Anliegen. Heute ging es vor allem um die Geduld. Wenn man wieder zu laufen beginnt wie ich in diesen Wochen, muss man sich auch erst wieder in den eigenen Körper einfinden und das richtige Tempo finden. Heute wollte ich zu Beginn zu viel und habe dann aber den für heute richtigen Rhythmus gefunden und so waren dann interessanterweise die letzten Kilometer leichter als die ersten. Sich selbst zu spüren ist manchmal gar nicht so einfach.“

7. März

Ein paar Wochen später hat sich jemand bei mir gemeldet, die an ihre beste Freundin gedacht hat. Ich kenne Betty nicht, aber manchmal habe ich beim Laufen dann das Gefühl, dass wir uns fast ein wenig kennenlernen – mindestens aber miteinander durch diese Erfahrung verbunden sind:  

„Heute war ich Laufbuddy für Betty. Gemeinsam mit ihrer „ältesten“ Freundin bete ich dafür, dass sie sich zurück ins Leben kämpfen kann. Wir denken dabei auch an ihre Familie. Für mich war der Lauf heute auch ein Kampf trotz des herrlichen Wetters. Es ging schon mal leichter. Darin hab ich mich mit Betty ein wenig verbunden gefühlt, auch wenn ihr Kampf ein ungleich anderer ist.“

29. März

Hier wie bei anderen Kontakten ist es manchmal dann auch so, dass dadurch, dass ich anschließend den Menschen noch einmal schreibe, für die ich gelaufen bin, noch ein Kontakt entsteht, der bleibt. Manchmal war es auch einfach nur für diesen einen Lauf und dann war es auch gut. Ein besonderer Lauf, an den ich noch manchmal denke, war der für Fritz:  

„Heute bin ich für Fritz gelaufen. Das war insofern ein Novum, als dass Fritz schon gestorben ist und ich als Evangelischer nicht so geübt im Beten für Verstorbene bin. Gemeinsam mit seiner Schwester Beatrice war ich mir aber ganz schnell einig, dass die Einteilung der Menschheit in nicht-mehr-Lebende, gerade-in-diesem-Moment-Lebende und noch-nicht-Lebende ja auch eine (nicht nur zeitlich) äußerst beschränkte und schon im nächsten Moment nicht mehr gültige Sicht der Dinge ist. Und da Beten ja auch so etwas wie ein Einüben in die Gegenwart Gottes, der Ewigen, ist, hab ich mich gerne darauf eingelassen. Und vor allem war es sehr schön. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, nicht jemand anderen mit meinem Beten und Laufen zu begleiten, sondern selbst dabei begleitet zu sein. Von Anfang an war das ein leichter, friedlicher Lauf. An einem der für mich schönsten Plätze unserer Region habe ich eine Pause gemacht. Alles in allem war es ein Gebet, ohne viel Denken zu müssen.“

9. April

Von diesem Lauf für Fritz und von den Erfahrungen, die ich mache, habe ich irgendwann am Telefon meiner eigenen Mutter erzählt. Sie konnte damit etwas anfangen: 

„Vor einiger Zeit habe ich meiner Mutter erzählt, dass ich für andere laufe. Da hat sie gesagt: „Das finde ich gut. Dann kannst du ja auch mal für mich laufen.“ Das habe ich heute morgen gerne gemacht. Sie hat mir noch etwas erzählt- nämlich dass sie etwas Ähnliches macht: Sie spaziert immer mit einem Bibelvers. Auch gerne immer wieder mit demselben. Bis er sich ganz tief ins Herz gesenkt hat. Das finde ich auch toll. Heute morgen hatte mir mein Regenradar gesagt: Klappt noch, wenn Du jetzt gleich losläufst. Diese Annahme sollte ich schon ausgesprochen schnell als verkehrt herausstellen. So hab ich mir beim Laufen ein paar Gedanken dazu gemacht, wie es im Leben ist, wenn es nicht so kommt wie geplant, aber es trotzdem für den Moment okay so ist, wie es ist. Dabei habe ich an Dinge in meinem Leben gedacht, an meine Mutter und an alle von uns, die das kennen.“

27. Mai

Für mich ist es eine wertvolle Erfahrung geworden, das Laufen und Beten miteinander zu verbinden. Letztlich kann ja alles, was wir tun, zum Gebet werden. Das habe ich besonders von dem katholischen Priester und Schriftsteller Henri Nouwen gelernt. Aber ich muss sagen: Bei manchen Dingen des Alltags gelingt mir das eher weniger gut. Beim Laufen klappt es (meistens). Und es ist einfach schön, etwas zu tun, was gleichzeitig mir und offenbar auch anderen gut tut und sie berührt. Vieles von dem, was ich im Anschluss an die Läufe noch zu hören bekomme, ist bewegend, traurig oder schön und manchmal auch ganz erstaunlich. Am Ende von jedem Beitrag auf Instagram steht:  

Wenn ich laufe, dann nie allein. Verbunden mit allem, was lebt und mit Gott, die mich trägt. Und im Gebet verbunden mit Menschen, die einen Gefährten für einen Teil ihres Wegs brauchen. Brauchst Du selbst gerade so einen Gefährten? Oder jemand, den Du kennst? Schreib mir gerne in die Kommentare oder direkt und dann laufe ich für Dich.

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2 Kommentare

  1. Reiner Kuball

    Guten Morgen,
    durch eine kleine Schrift der Jesuiten bin auf Christian Anders und seine Idee des Laufens für Anedere gestoßen. Dies hat mich sehr berührt. Seit etwa einem Jahr stecke ich in einer Lebenskrise und finde nicht wirklich heraus. Viele Jahre habe ich fast täglich morgens meinen Dauerlauf gemacht. Jetzt fällt es mir schwer. Ich mag meine Probleme hier nicht im einzelnen schildern; das führt zu weit. Wenn Sie einmal für mich laufen würden, freue ich mich.
    Herzliche Grüße
    Reiner Kuball

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