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Kirche und Antisemitismus (Teil 4 – Das Mittelalter)

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Die Nazis haben sich im Dritten Reich nicht alles selber ausgedacht. Es ist erstaunlich, wie viele Maßnahmen gegen Jüd:innen sie aus kirchlichen Synoden und Konzilen einfach per copy&paste übernehmen konnten. Eine kleine Zusammenschau des Schreckens aus Alter Kirche und Mittelalter:

Die Synode von Elvira (4. Jh) verbietet sowohl die Ehe und den Geschlechtsverkehr zwischen Christen und Juden als auch die Tatsache, dass beide gemeinsam Speisen einnehmen dürfen. 200 Jahre später wird Juden verboten, öffentliche Ämter zu bekleiden (Synode von Clermont), christliche Mägde oder Knechte zu haben und sich während der Karwoche auf der Straße zu zeigen (3. Synode von Orleans). 692 wird Christen verboten, jüdische Ärzte zu Rate zu ziehen (Trullanische Synode) und nach der Synode von Narbonne im Jahr 1050 ist es Christen nicht erlaubt, bei Juden zu wohnen. Das 4. Laterankonzil (1215) verpflichtet Juden zum Tragen eines gelben Zeichens an ihrer Kleidung. In Wien wird 50 Jahre später Christen die Teilnahme an jüdischen Feiertagen verboten und Juden umgekehrt, mit Christen über ihren Glauben zu sprechen. Die Synode von Breslau ordnet im selben Jahr an, dass Juden nur in Judenvierteln wohnen dürfen. Und schließlich verbietet das Konzil von Basel 1434 Juden den Erwerb von akademischen Graden.

In der deutschen Gesetzgebung zwischen 1933 und 1941 finden sich exakt diese Verbote und Anordnung wieder. Schon vor den Nationalsozialisten hatten diese sich allerdings die Christen ausgedacht.

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Kirche und Antisemitismus (Teil 5 – Martin Luther) 

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Der Reformator bekommt einen eigenen Beitrag. Nicht weil er der einzige Antisemit seiner Zeit gewesen wäre, aber aufgrund seiner großen Bedeutung (nicht nur) für uns Deutsche und der Schwere seiner antisemitischen Auslassungen.

Zuerst muss allerdings gesagt werden, dass es verschiedene Phasen in Luthers Verhältnis zum Judentum gibt. Der Luther in seinen letzten Jahren ist der Schlimmste. Aber auch in seinen erträglicheren Ausführungen möchte er immer noch aus allen Juden am liebsten Christen machen. Warum radikalisiert sich am Ende seine Position noch zusehends? Die meisten Forscher:innen glauben, dass Luther einfach enttäuscht war. Er hatte auf Missionserfolge unter Jüd:innen gehofft, die auch die Wahrheit der Reformation gegenüber der Papstkirche ans Licht bringen sollten. Es kam anders und so schrieb Luther im Januar 1543 die Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“. Darin fordert er sieben Dinge:

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Kirche und Antisemitismus (Teil 3 – Die Alte Kirche)

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Gab es im Neuen Testament noch Interpretationsspielraum, wird es nun in der Alten Kirche bei den sog. altehrwürdigen Kirchenvätern ziemlich heftig eindeutig. Zum Beispiel bei Bischof Ambrosius von Mailand (4. Jh) der noch heute als Heiliger verehrt wird und nach dem Niederbrennen einer Synagoge durch christliche Fanatiker schreibt: „Was soll der Wiederaufbau einer Synagoge? Ort, des Unglaubens, Heimstätte der Gottlosen, Schlupfwinkel des Wahnsinns, der von Gott selbst verdammt worden ist. […] Mit den Ungläubigen müssen auch die Äußerungen des Unglaubens verschwinden.“

Oder der heilige Bischof Chysostomus (4./5. Jh): „Nenne einer [die Synagoge] Hurenhaus, Lästerstätte, Teufelsasyl, Satansburg, Seelenverderb, jedes Unheil gähnenden Abgrund oder was auch immer, so wird er noch weniger sagen, als sie verdient hat […] Wie ein gemästetes und arbeitsunfähiges Tier taugen [die Juden] nur noch für die Schlächterei.“

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Kirche und Antisemitismus (Teil 2 – Das Neue Testament)

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Wenn man sich damit beschäftigten will, seit wann es Antisemitismus in der Kirche gibt, fängt man am besten ganz vorne an. Also in der Zeit, als sich die ersten als Christ:innen als ebensolche verstanden haben. Sofort war damals natürlich die Frage auf dem Tisch, wie sich diese neue religiöse Gemeinschaft zum Judentum positionieren würde. Jesus war ja selber Jude (vergessen viele Menschen heute oft). Die, die ihm nachfolgten und sich auf ihn bezogen, waren erstmal genauso Jüd:innen. Aber zunehmend kamen eben auch Menschen dazu, die eine andere Herkunft hatten. Die Texte des Neuen Testaments spiegeln das wieder – manche sind von Christusnachfolger:innen jüdischer Herkunft geschrieben, andere von Menschen anderer Herkunft In der Bibel werden sie häufig „Heidenchristen“ oder einfach „die Völker“ genannt.

Und so finden sich Texte im Neuen Testament, die besonders die Kontinuität vom Judentum zum Christentum betonen. Jesus ist hier ein vollmächtiger jüdischer Rabbi. Andere fokussieren mehr auf das Neue und betonen die Diskontinuität. Und noch mehr als das: es entstehen Texte und es werden antijüdische Stereotype verwendet, die schon damals im Umlauf waren und seitdem durch alle Zeiten weitertradiert wurden.

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Kirche und Antisemitismus (Teil 1 – Der Begriff)

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Kann man, wenn man sich 2000 Jahre Christentum anschauen möchte, überhaupt von „Antisemitismus“ sprechen? Mindestens zwei Anfragen daran könnte es geben:

  1. Der Begriff „Antisemitismus“ ist ja noch keine 150 Jahre alt. Wenn wir also jetzt geschichtlich weiter zurückgehen als ans Ende des 19. Jahrhunderts, ist es dann nicht anachronistisch, das Wort zu verwenden?
  2. Warum eigentlich „AntiSEMITismus? Es geht doch eigentlich um Hass auf Jüdinnen und Juden, nicht auf die ganze semitische Sprach- und Völkerfamilie. Könnte man nicht besser von „Antijudaismus“ sprechen und wäre das nicht genauer?

Zum ersten Einwand: Manche Wissenschaftler:innen benutzen den Begriff nur für antijüdische Phänomene, die seit dem 19. Jahrhundert zu beobachten sind und betonen damit besonders den rassistischen Charakter des Antisemitismus, der eben im 19. Jahrhundert aufkam. Vorher gab es andere ideologische Begründungen für Hass gegen Jüdinnen und Juden. Sie sagen, dass sich dadurch noch einmal etwas maßgeblich verändert hat. Andere dagegen sprechen auch bei früheren Formen von Judenfeindschaft von Anitsemitismus. Sie wollen damit zeigen, dass es bestimmte Motive und Formen des Judenhasses quer durch alle Zeiten gegeben hat und sie einfach immer wieder neue Begründungsformen gefunden haben. Weil es mir in den folgenden Beiträgen nun genau darum geht – nämlich zu zeigen, wie schon ganz früh und bis in die jüngste Vergangenheit das Christentum die Judenfeindschaft ihrer Zeit nicht nur spiegelt, sondern sogar maßgeblich gefördert und gebildet hat, benutze ich den Begriff Antisemitismus auch rückblickend für frühere Zeiten.

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Rassismus (Teil 11) – Repräsentation

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Zeit, nach etwa einem Jahr diese Reihe fortzusetzen. Ich hab ja auch in den Beiträgen zuvor immer versucht, von mir zu erzählen. Von der Entdeckung eigener rassistischer Muster, von blinden Flecken und vom Versuch, auch in meinen Kontexten (z.B. der Kirche, in der ich arbeite) einen neuen Blick einzuüben, auf BIPoC zu hören, von ihnen zu lernen und an den Stellen, an denen mir Dinge auffallen, möglichst mutig zu sein und diese anzusprechen.

Um es gleich vorweg zu sagen: Es könnte besser laufen. Einige Dinge sind mir gelungen. An anderen Stellen hab ich geschwiegen und mich anschließend geschämt. Warum ist das so? Zuerst einmal und immer noch: Weil ich es mir als weißer Mann schlichtweg leisten kann. Ich hab ne Menge Privilegien und ich kann mir überlegen, ob ich gerade genug Lust und Kraft habe für Auseinandersetzungen, die unangenehm sind. Meistens ist mir dann schnell bewusst, dass allein das schon so ungerecht ist, dass BIPoC genau diesen Luxus eben nicht haben. Aber manchmal denke ich auch insgeheim: Diesen Kampf erspare ich mir jetzt mal gerade. Naja, und dann ist es auch so, dass ich immer noch am Anfang eines Lernprozesses bin. Manchmal vergesse ich das und fühl mich wie so ein Antirassismus-Experte, weil ich ein paar Blog-Posts zum Thema geschrieben habe, aber die Wahrheit ist: Mir fallen manchmal selbst die Klassiker des Alltagsrassismus immer noch nicht auf.

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Verflüssigung von Kirche

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In der Kirche gelten häufig klare Grenzen: Entweder du bist Mitglied in der Kirche oder du bist es nicht. Und an diesem Status hängen dann auch Folge-Fragen: Entweder darfst du Pat*in bei der Taufe des Kindes deiner besten Freundin sein oder eben nicht. Entweder darfst du deine*n konfessionslose*n Partner*in kirchlich heiraten oder nicht. Entweder darfst du zum Abendmahl kommen oder nicht. Bei deiner eigenen Bestattung kannst du Glück haben, falls du eine*n Pastor*in findest, der da mal ne Ausnahme macht. Klare Regeln. Klare Grenzen. So haben wir Kirche organisiert – als eine Art Club mit Vorteilen für die Clubmitglieder. 

Wenn wir uns in diesen Zeiten darin ausprobieren, alte Paradigmen, Logiken und Selbstverständlichkeiten von Kirche in Fragen zu stellen, ggf. sogar hinter uns zu lassen und neue Räume zu betreten, dann bietet das auch die Möglichkeit, Grenzen dieser Art zukünftig zu vermeiden und neue Rollenverständnisse einzuüben (die „neuen Räume“ könnt ihr im Folgenden metaphorisch oder konkret denken, das ist egal).

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Kirche und Statistik – (leider) eine Geschichte des Dilettantismus

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Ich habe Mathe noch nicht einmal als Prüfungsfach im Abi gehabt und komme schon an meine Grenzen, wenn ich meiner Tochter bei den Hausaufgaben über die Schulter schaue. Aber um zu erkennen, dass Kirche in der Interpretation mancher Zahlen so grobe Schnitzer macht, dass es schlichtweg falsch wird, dafür reicht es selbst bei mir noch. An zwei populären Beispielen möchte ich versuchen, dies deutlich zu machen.

Es geht aus meiner Sicht dabei nicht um Zahlenklauberei, sondern um zum Teil tendenziöse Exegese von Statistiken, die die Zahlen schlichtweg nicht hergeben. In der Folge macht dies dann leider auch die daraus gezogenen Schlüsse zumindest fragwürdig. Mich würde es vermutlich auch nicht stören, wenn es irgendjemand wäre, der die Zahlen so liest, wie es gerade Freude macht, aber da dies gerade durch unser kirchliches Spitzenpersonal passiert, will ich es doch einmal kommentieren.

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Ich bin ein Suchender

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Wir haben uns angewöhnt, die Menschheit einzuteilen in Gläubige vs. Ungläubige. Diese klare Unterscheidung ist nicht nur hilfreich für fundamentalistische Fanatiker bei der Auswahl ihrer Opfer. Er hilft auch vergleichsweise friedfertigen Menschen, sich selbst samt ihrer eigenen Weltanschauung zu verorten. Meiner Wahrnehmung nach beschreiben sich Menschen beider Gruppen oft in Abgrenzung von der jeweils anderen: „Wir sind zwar nicht gläubig, aber wir würden trotzdem gerne bei Ihnen heiraten/unser Kind in Ihrer KiTa anmelden o.ä“. „Ich bin zwar kein Kirchenmitglied, aber das heißt nicht, dass ich nicht glaube.“ So kann man die Welt einteilen: In einerseits die Menschen, die (mehr oder weniger doll/kräftig/intensiv) glauben und andererseits die Menschen, die halt nicht glauben.

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Kein „Schwaches Signal“

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Hanna Jacobs hat in der letzten Woche einen viel beachteten Artikel in „Christ&Welt“ über die digitalen Angebote der evangelischen Kirche in Corona-Zeiten unter dem Titel „Schwaches Signal“ geschrieben. Im Wesentlichen sind darin die PfarrerInnen Thema. Ein solcher bin ich ja – insofern habe ich mich angesprochen gefühlt. Ein paar Tage habe ich nun überlegt, wie ich darauf reagiere.

Vorrede

Zum einen kennen wir beide uns seit einigen Jahren. Wir teilen sogar die Erfahrung, vom gleichen Mentor im Vikariat ausgebildet worden zu sein. Ich schätze Hanna sehr und halte sie für eine Autorin, die ausgesprochen pointiert Dinge benennen kann und bei der ein unterhaltsamer Schreibstil auf theologisch Durchdachtes trifft. Das gibt es überhaupt gar nicht oft und insofern ist sie eine große Bereicherung für die ganze kirchliche Szene und darüber hinaus. Ich bewundere ihre Fähigkeit, immer wieder in großer Regelmäßigkeit interessante Texte in ihrer Kolumne zu schreiben. Dabei bin ich auch völlig einverstanden damit, Dinge hier und da ein wenig zu überzeichnen – mehr als einmal hat sie so Debatten ausgelöst, die wichtig sind. Und wem gelingt das schon? Ich finde das großartig und lerne von ihr. Vor kurzem hatten wir im Raumschiff Ruhr eine ganz wunderbare, warmherzige Begegnung. Und ich erlebe sie zudem als Person, die Widerspruch, wenn er sachlich begründet ist, konstruktiv aufnimmt – auch das kann nicht jede/r. An einem solchen versuche ich mich nun.