Einmal im Jahr übernachte ich mit unseren Konfirmanden in unserer Kirche. Ja, richtig: Nicht im Gemeindehaus, sondern tatsächlich in der Kirche. Die Jungs schlafen im Altarraum unten neben der aufgebauten Krippe unterm Weihnachtsraum, die Mädels oben auf der Empore neben der Orgel. Warum ich das mache, werde ich regelmäßig gefragt.
Ich kann es nicht quantitativ oder qualitativ belegen, aber mein Eindruck ist Folgender: Das Verhältnis der Jugendlichen zu unserem Kirchraum ist nach der Übernachtung ein anderer als vor der Übernachtung. Ich tue mich anschließend als Konfirmand leichter damit, den Altarraum beim Abendmahl zu betreten, wenn ich genau dort vor dem Altar schon einmal mit meiner Luftmatratze gelegen habe. Ich bewege mich selbstverständlicher zum Lesepult, wenn ich genau an der Stelle im Schein der aufgebauten Krippe schon einmal eingeschlafen und wieder aufgewacht bin.
Die dahinter stehende Überzeugung ist auch die, dass die Unterscheidung zwischen heiligen und profanen Räumen letztlich künstlich ist. Genauso die Unterscheidung von profanen und geistlichen Werken. Letztlich ist dies ja ein Kennzeichen der Moderne, von der viele Beobachter unserer westlichen Gesellschaft heute meinen, dass wir dabei sind, sie hinter uns zu lassen (oder dies schon haben). Die Begriffe variieren: „Postmoderne“ sagen die einen, „fluide Moderne“ die anderen. Welche Bezeichnung man auch verwenden möchte, die Kennzeichen sind ähnlich.
Und eines der Kennzeichen der Moderne war eben die Trennung zwischen einem heilig-religiös-spirituellem Bereich einerseits und einem säkular-profanen Bereich andererseits. Religion war gut im Bereich des Privaten angesiedelt, während der Bereich der Wissenschaften dagegen als Zone frei von aller Metaphysik betrieben wurde. Glaube ist dann etwas, das nur mich etwas angeht.
Diese Idee läuft aber jeder Schöpfungstheologie entgegen. Auch kann jeder profane Ort ein heiliger Ort sein, wenn Gott an ihm wohnt – sogar gewöhnliche Sträucher, die zuweilen in Flammen stehen. Auch alles, was wir tun, kann eine geistliche Tiefendimension haben – und wenn es das Abwaschen von Geschirr, das Fegen des Bürgersteigs oder halt das Schlafen ist.
Jeder profane Ort kann ein heiliger Ort sein, wenn Gott an ihm wohnt – sogar gewöhnliche Sträucher, die zuweilen in Flammen stehen. Auch alles, was wir tun, kann eine geistliche Tiefendimension haben.
Die Moderne war ja überhaupt gut darin, Dinge zu trennen, von denen wir in der letzten Zeit merken, dass sie vielleicht doch enger zusammengehören, als wir dachten: Körper und Geist, Glaube und Vernunft, das Öffentliche und das Private, Wissenschaft und die Rede von Gott. Ganzheitliches Denken im Hinblick auf uns als Menschen und die Welt und den Kosmos als Gottes Schöpfung ist wohl nicht nur eine postmoderne Antwort auf diese modernen Dualismen, sondern auch eine Rückkehr zur biblischen (vor allem alttestamentlichen) Vorstellungswelt.
Eine Überwindung dieser Trennung zwischen heilig und profan heißt für die Kirche, zu lernen, dass Kirche nicht nur am Sonntag im Gottesdienst passiert. Als Christen gehen wir nicht zur Kirche, sondern wir sind Kirche. Und das eben nicht nur zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten, sondern rund um die Uhr in allen erdenklichen Lebenskontexten.
Es geht mir nicht darum zu sagen, dass es nicht verschiedene Arten von Räumen gibt. Auch nicht, dass es für bestimmte Räume angemessenes und angemessenes Verhalten gibt. Aber mein Eindruck ist, dass hier vielleicht unbewusst auch Botschaften gesendet werden: Je mehr wir bei den Räumen zwischen heiligen und profanen Räumen unterscheiden, um so mehr legitimieren wir damit auch, dass sich unser Leben auf diese Weise aufteilt: mal verhalte ich mich dann ganz geistlich und im nächsten Moment kann ich dann wieder ganz weltlich sein. Wir sind ja schließlich auch nur Menschen.
Genau das ist ja eigentlich richtig. Es ist unsere Bestimmung, ganz Mensch zu sein. Aber eben nicht, indem wir davon absehen, dass wir in einer Gottesbeziehung stehen, sondern indem wir dies integrieren. Everything is spiritual, sagt Rob Bell.
Dietrich Bonhoeffer hat schon vor vielen Jahrzehnten in diese Richtung gedacht und von einer Überwindung zweier Räume (einem kirchlich-christlichen und einem weltlichen) gesprochen. Gerade weil Christus in die Welt gekommen ist und weil Kirche immer Kirche für andere ist, muss auch die Kirche immer weltlich sein. Die Weltlichkeit trennt die Kirche nicht von Jesus Christus, sondern sie verbindet die Kirche mit ihm. Kirche ist damit nicht in erster Linie gute Nachricht für die Christen, sondern für die ganze Welt.
Das wünsche ich mir für unsere Konfis: Dass einerseits der Ort „Kirche“ für sie zu einer Art Lebensraum wird und andererseits das Kirche-Sein weit über dieses Gebäude hinausreicht.
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