Zuweilen werden Regierungen wie die gegenwärtige Administration der USA und ihre Handlungsweisen mit anderen Regierungen aus der Geschichte der letzten Jahrhunderte verglichen. Ein Vergleich ist aber schon deshalb schwierig, weil sich die Menschheit und jede unserer Gesellschaften in einer Lage befindet, für die es einfach keinen Präzedenzfall gibt. Noch nie musste sich eine Gesellschaft mit den Reaktionen des Systems Erde auf das Handeln von fast acht Milliarden Menschen befassen. Das ist eine neue Situation. Die Erde selbst ist zum politischen Akteur geworden.
Insofern drängt sich die neue Achse hin zum Terrestrischen, die im 90-Grad-Winkel zur Modernisierungs-Achse liegt, wie von selbst auf. Fragen der Ökologie sind insofern auch nicht einer bestimmten grünen Partei zuzuordnen, die sich wie die anderen Parteien auf der alten Achse irgendwo zwischen rechts und links einsortiert, sondern betreffen das Ganze. Sie sind nicht die Alternative zu sozialen Themen, Sicherheitsfragen oder Migrationspolitik. Als Politik der Erde bestimmen sie stattdessen die Gegenwart und Zukunft allen Lebens und des Planeten und damit auch die anderen genannten Themen.
Bei allem Erschrecken über den Erfolg mancher Politiker und Parteien weltweit, die aber zugleich die Problematik des Scheiterns des Projekts „Globalisierung“ nur noch deutlicher machen, macht Hoffnung, dass immer mehr Menschen sehen, dass es eine glaubwürdige, gelebte und sinnliche Alternative zur Zuspitzung zwischen „links“ und „rechts“ zu geben scheint. Diese neue Alternative nimmt den Klimawandel als Reaktion der Erde ernst und versteht Migration auch auf diesem Hintergrund. Sie erkennt die wachsenden Ungleichheiten als Ergebnis der Profit-Maximierung von Eliten an, die Raubbau an einer Erde betreiben, die dafür nicht auslegt ist.
Wer sind die Gegner einer solchen Alternative? Diejenigen, die nach wie vor am Projekt „Globalisierung“ festhalten und ihre Schattenseiten nicht sehen. Diejenigen, die unter den Auswirkungen dieser Schattenseiten zu leiden haben, und sich in der nationalistischen rückwärtsgewandten Variante der Hinwendung zum Lokalen erneut verschrieben haben. Und schließlich diejenigen, die das Schlechteste aus beiden Welten kombiniert haben (siehe Trump). Nun sind aber diese Gegner gleichzeitig die einzigen potenziellen Verbündeten und es gilt, sie umzustimmen.
Anknüpfungspunkt für die Verhandlungen mit den Anhängern des „Lokalen“ ist die Zugehörigkeit zu einem Boden, ohne dass es dabei gleich wieder um Historizismus, Nostalgie und ethnische Homogonität geht. Und Letzteres ist auch die größte Schwierigkeit in diesem Gespräch. Letztlich gibt es aber nichts Aktuelleres und Innovativeres, als heute darüber nachzudenken, wie wir neu „Boden-Haftung“ gewinnen können. Auch auf dem Hintergrund, dass es gilt, auf diesem unserem Boden Orte zu schaffen, in denen zukünftig Migranten leben können.
Im Dialog mit den Globalisierern wird dagegen wichtig sein, einen Blick darauf zu werfen, wer genau von dem Modernisierungs- und Globalisierungs-Prozess profitiert hat und wer nicht. Vom Terrestrischen her gedacht ergibt sich ein Blick auf die Erde, der über einzelne Identitäten (Ich als „Weißer“, Ich als „Deutscher“, Ich als „Liberaler“, Ich als „Westeuropäer“) hinausführt und über Grenzen hinaus denkt.
Bruno Latours Essay endet mit einem Bekenntnis zu Europa. Dem Europa, das häufig und vielleicht auch zurecht als „Bürokratisierungs-Monster“ beschimpft wurde. Und dessen schwierige Brexit-Verhandlungen in den letzten Monaten aber auch gezeigt haben, was für eine originelle Konstruktion dort über die letzten Jahrzehnte entstanden ist, die mit einer komplexen Verzahnung einen Ausgleich zwischen den verschiedenen nationalen Interessen geschaffen hat. Letztlich ist Europa immer noch eine der weltweit interessantesten Antworten auf die immer noch populäre Idee, nur der Nationalstaat sei in der Lage, Völker zu schützen und abzusichern. Für Latour ist der Nationalstaat dagegen eigentlich nur noch ein anderer Name für das „Lokale“. Er schreibt: „Ich möchte stolz auf Europa sein, auf dieses runzelige, vernarbte Europa, ich möchte es mein Land nennen können“.
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