Gestern Abend haben wir einmal etwas gewagt. Ermutigt von einer ähnlichen Erfahrung bei Con:Fusion hatte ich unter Freunden und Bekannten gefragt, wer Lust zu einem literarisch-musikalischen Abend in unserer Küche hätte. Die Idee: Jede, die mag, bringt etwas mit – etwas selbst Geschriebenes, etwas Entdecktes, einen Klassiker, etwas Komponiertes. Der rote Faden des Abends war „(Neu-)Anfänge“.

Ich fand es klasse. Wir haben Klassiker wie Brecht und Hesse gehört, aber auch Lieder, die selbst getextet und zum Teil zum ersten Mal gesungen wurden. Interessant fand ich, dass wir ausgehend von manchen zeitlosen oder ganz zeitbezogenen Stücken immer wieder schnell in Gesprächen waren über das, was uns momentan sehr bewegt – gesellschaftlich, aber auch spirituell. Ein wenig zufällig war es so, dass wir zusammen am Tisch saßen mit Leuten, die jüdische, christliche oder buddhistische Wurzeln hatten. Mit einem der gestern zum ersten Mal gehörten Lieder im Kopf bin ich heute aufgewacht.

Ich selbst hatte folgenden kleinen Text zu meinem (Jahres-)Anfang geschrieben:

Am 1. Januar bin ich losgelaufen.
Gleich morgens. Bis zur Grenze.
Und dort habe ich das Licht des neuen Jahres gewsehen.
Und es schien schön.
Voller Erwartung. Vielleicht sogar Verheißung.
Ja. Doch. Ziemlich sicher: Verheißung.

Einer hat dann zu mir gesagt,
letztlich wäre das ja genau dasselbe Licht wie am Tag zuvor auch …
nur weil jetzt gerader 1. Januar wäre …
dasselbe Licht wie am 31.12. oder am 2.1.
oder meinetwegen auch 17. Februar oder 25. Oktober …
und nur weil der gregorianische Kalender und der julianische oder wer auch immer das …

Und überhaupt:
Dass ich das Licht mit diesem Rotschimmer am Morgen, die sog. Morgendämmerung …
Das ließe sich ja auch ganz einfach erklären …
Von wegen Streuung des Lichts, auch genannt Rayleigh-Strahlung …
Und hätte ich irgendwo ganz anders auf unser Erdkugel, dann …
Ja dann wäre alles ganz anders gewesen.

Und darüber hinaus wäre das ja auch alles psychologisch.
Sicher hätte ich an dem Morgen auch etwas sehen wollen …
Weil ja eben der 1. Januar und so …
Und wer etwas sehen will, der findet ja in der Regel auch irgendetwas …
Und wäre nun ausgerechnet an diesem Morgen, was ja nicht war, aber wäre der Himmel an diesem Morgen nun zufällig wolkenverhangen …
Dann wäre da bestimmt irgendein Pflanzenspross mitten zwischen den Steinen …
Da wo eigentlich überhaupt gar nichts wachsen kann …
Oder irgendein Vogel hätte eine Melodie gezwitschert, die ganz genauso geklungen hätte wie „Großer Gott, wir loben dich“ …
Und dann würde ich jetzt darüber Texte vortragen …
Und dann …

Und dann war er endlich still.

Und dann hab ich gesagt:
Ich kann ja auch nichts dafür.
Ich bin ja einfach nur losgelaufen.
Und auf einmal war ich an der Grenze.
Und da hab ich es gesehen.
Das Licht des neuen Jahres.
Und es schien schön.
Voller Verheißung.

 

(Bild: Franzisko Hauser, Flickr Creative Commons License, Ausschnitt)