Ein ganz normales Wochenende

„Eigentlich ein ganz normales Wochenende.“ dachte ich gestern, als Annette und ich traditionell nach dem Zu-Bett-Bringen der Kinder und noch vor dem Tatort kurz die zurückliegenden Tage reflektierten und die kommende Woche in den Blick nahmen. Ein ganz normales Wochenende. Mit verschiedenen Aktivitäten inklusive zwei Gottesdiensten. „Bist du kaputt?“ „Ja, schon müde. Aber nicht ausgelaugt“, dachte ich.

Und dann wurde mir bewusst, dass das Wochenende alles andere als normal war. Und das sich die Dinge verändern. In unserer Gemeinde. In meiner Rolle als Pastor. In meinem Leben. Zwei Dinge wurden mir bewusst, für die ich dankbar bin.

Ich beschreibe zunächst einmal kurz, wie das Wochenende verlief: Zunächst hatten wir am Freitag mit gut 20 Kids unsere Kindergruppe und haben dann anschließend im Gemeindehaus übernachtet. Zehn Jugendliche bzw. Konfis waren dabei. Nach dem Aufräumen und Putzen habe ich mich mit einer ehemaligen Teamerin zum ausführlichen Mittagessen getroffen, die jetzt studiert und in nächster Zeit eine Richtungsentscheidung zu treffen hat. Am Sonntag fand unserer monatlicher Kurz&Klein-Gottesdienst statt, zu dem wie schon bei den letzten Malen mehr als 100 Besucher kamen, was uns sehr gefreut hat. Nach kurzer Pause ging es dann mit dem Konfi-Kurs weiter, der abends in einen Jugendgottesdienst mündete. Soweit alles ganz normal. Ein Programm ähnlich wie an vielen anderen Orten wahrscheinlich auch.

Aber dann auch vielleicht doch nicht ganz normal. Denn vor drei Jahren gab es noch überhaupt keine Kindergruppe hier. Auch keine Kinder in dem Alter im Gemeindehaus. Oder Teamer, die etwas mit Kindern gemacht hätten. Vor drei Jahren gab es auch noch keinen Kurz&Klein-Gottesdienst. Inzwischen haben wir drei Teams mit mehr als 20 Ehrenamtlichen, die sich um Gebete und Lieder, um Leib und Seele, um Spiel und Spaß kümmern und viele, viele Familien, die gerne kommen und bleiben. Vor drei Jahren hatten wir auch noch keinen Konfi-Kurs am Sonntagnachmittag mit anschließendem Jugendgottesdienst und so viele tolle Ideen und Aktionen, die wir während des Jahres mit den Jugendlichen durchführen. Da ist also ganz viel gewachsen und es sind sehr, sehr viele Menschen dazu gekommen, die teilnehmen und mitmachen.

Wachstum ist nicht das einzige Kriterium für Qualität. Aber wenn das, was du tust, Qualität tat, wird früher oder später auch etwas wachsen.

Bei unserem Kirche²– Wochenende vor kurzem hat mich jemand gefragt, ob für mich „Wachstum“ ein Erfolgskriterium für die Arbeit in der Kirchengemeinde ist. Da habe ich gezögert und war mir erst nicht sicher. Vielleicht ist es so: Wachstum ist sicher nicht das einzige Kriterium für Qualität. Aber wenn das, was du tust, Qualität tat, wird früher oder später auch etwas wachsen. Hoffentlich nicht nur quantitativ, sondern auch in der Tiefe.

Das zweite, was mir aufgefallen ist: Ich war zwar bei allen Veranstaltungen als Pastor dabei, aber hatte nirgendwo die Haupt-Verantwortung. Weder in der Vorbereitung noch in der Durchführung. Die Übernachtungsaktion hatten die Teamer während meines Urlaubs ganz toll geplant und ich war selbst gespannt, was wir zusammen kochen und spielen und erleben. Ich durfte mit den Kids singen und ihnen abends eine Geschichte erzählen, weil die Teamer meinten, dass ich das gut kann. Als eine Krisensituation am Abend bei einem kleinen Unfall auftrat, habe ich Leitungsverantwortung übernommen, sie dann aber auch wieder abgegeben. Auch beim netten Mittagessen mit der ehemaligen Teamerin saß ich natürlich als Pastor, aber es fühlte sich eher freundschaftlich an. Kein klassisches seelsorgliches Setting. Aber schon irgendwie Lebensbegleitung. Von mir für sie. Von ihr aber auch für mich. Beim Kurz&Klein-Gottesdienst war meine einzige Aufgabe die Taufe von zwei Kindern. Alles andere an Musik, Moderation, Message etc. hatte ein Team vorbereitet. Die Taufe ist in unserer Kirche an mein Amt gebunden und das habe ich gerne gemacht. Beim Konfi-Kurs hat auch immer ein Teamer die Leitung, der gleichzeitig auch das Vorbereitungstreffen leitet. Ich bin auch ab und zu mal dran, aber dieses mal nicht. Ich hatte meine Aufgabe, einen Teil des Nachmittags zu gestalten, den ich schon kannte und den ich gerne mache. Andere hatten andere Aufgaben. Beim Jugendgottesdienst, den unsere Diakonin vorbereitet, bin ich der Gitarrenspieler und dieses mal durfte ich ausnahmsweise noch den Segen sprechen, was ich sehr schön fand.

Ich beschreibe das alles so ausführlich, weil dieses letzte Wochenende für mich einen Paradigmenwechsel in unserer Gemeindekultur und meiner persönlichen Arbeit dokumentiert. Ich bin als Pastor bei vielem dabei, aber meine Rolle verändert sich. Ich bin nicht Alleinunterhalter, sondern Teil des Teams. Damit wird meine Aufgabe als Pastor nicht unwichtig(er), aber sie wird eine andere. Ich versuche, nicht von oben zu leiten, sondern von den Rändern. Manche sagen, dass das Ziel erst dann erreicht ist, wenn wir eine derart mündige Gemeinde haben, dass Pastoren insgesamt überflüssig werden. Mag sein. Ganz sicher bin ich mir nicht. Ich denke schon, dass ich Kompetenzen, die ich gelernt und mir erarbeitet habe, an verschiedenen Stellen einbringe. Und zwar gerade auch Theologische. Nur halt anders, als es Generationen vor ihm in diesem Amt getan haben.

Ich habe meine Rolle in den letzten Jahren oft als Netzwerker beschrieben. Als jemand, der Menschen zusammenbringt. Viel von dem, was ich tue, ist auch verwandt mit dem, was Manager tun. Diese Terminologie hat innerkirchlich momentan keine große Lobby. Alles, was auch dem Bereich der Wirtschaft kommt und nach Optimierung und Effizienzsteigerung klingt, ist erst einmal verdächtig. Dagegen wird dann im Hinblick auf unseren Beruf unter Pastorenkollegen oft beklagt, dass wir doch eigentlich für Verkündigung und Seelsorge da sind und dies wieder die eigentlichen Inhalte unserer Arbeit sein sollten.

Ich stimme zu und stimme nicht zu.

Manchmal kommt mir der Rekurs auf die klassischen pastoralen Arbeitsfelder zu reflexartig. Dann scheint es mir eine angstgesteuerte, rückwärtsgewandte Reaktion auf massive Veränderungen in Kirche und Gesellschaft zu sein, die aus Mangel an Alternativen das beschwört, was in längst vergangenen Zeiten gefragt und angebracht war. Das kann es nicht sein.

Ich glaube aber tatsächlich schon, dass Verkündigung und Seelsorge zentrale Bestandteile der Arbeit eines Pastors sind und bleiben sollten. Aber eben anders: So wie Seelsorge nicht nur das Gespräch in meinem Büro mit einem ratsuchenden Menschen ist, sondern eben auch in freundschaftlicher Begleitung im Cafe oder im Gespräch nach dem Kurz&Klein passiert, so ist Verkündigung auch mehr als die 20-minütige, monologische, von der erhöhten Kanzel gesprochene Rede zu Menschen, die hintereinander in Reihen sitzen und denen sich für die Stunde des Gottesdienstes in der Regel nur ein Gesicht zuwendet. Nämlich das des Pastors, der ihnen frontal gegenüber steht. Ansonsten nur Hinterköpfe. Außer in Reihe 1 – da sieht man noch nicht einmal Hinterköpfe.

Nicht jedes Wochenende läuft so ab wie dieses. Aber wir lernen. Und verändern uns. Manchmal spiele ich meine eigene Rolle künstlich runter und gestehe mir nicht ein, dass vieles letztlich doch von mir abhängig ist. Vielleicht kann das an manchen Stellen (noch) nicht anders sein. Vielleicht lasse ich es an manchen Stellen auch (noch) nicht anders zu, weil ich es für mein Ego brauche. Dann versuche ich, mir diese Mechanismen und Eitelkeiten bewusst zu machen. Aber ich denke, wir sind auf einem guten Weg.

(Bild: Victor Nuno, Flickr CC)

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7 Kommentare

  1. Silvia Fries

    Lieber Simon,
    die größten Geschenke, die man Menschen machen kann sind Zuneigung und Zeit. Beides hast du an diesem Wochenende deiner ehemaligen Teamerin geschenkt und es hat ihr so gut getan. Danke dafür.
    Silvia

  2. Danke für die frischen Gedanken!

    Mir kamen eben noch verschiedene Parallelen in den Sinn: In der alttestamentlichen Exegese hatte man lange die Sorge, durch den Rekurs auf Ägyptologie, Orientalistik usw. das „eigentlich Theologische“ zu verlieren. In der Systematischen Theologie gab es immer wieder Rückfragen, inwieweit man auch Erkenntnisse aus Philosophie, Psychologie usw. aufnehmen darf. Und so weiter und so fort. Bis die Angst allmählich der Erkenntnis gewichen ist, dass Gott durch diese interdisziplinären Bezüge nicht kleiner wird, sondern gerade größer. Ob diese Entwicklung einfach noch aussteht in der Praktischen Theologie im Blick auf Management, Betriebswirtschaftslehre usw.?! Auch da sind wir ja schon weiter als noch vor zehn Jahren …

    • Ich persönlich bin da auch ganz skeptisch und finde, dass wir eher Poesie als Management-Terminologie brauchen in Gottesdienst und Spiritualität und so.

      Aber die Kirche hat auch eine betriebswirtschaftliche Seite – wir müssen also sowieso auch in dieser Weise denken. Und das können wir entweder schlecht oder gut tun. Und wenn wir es gut tun wollen, dann ist überheblich, nicht von anderen lernen zu wollen.

      Und tatsächlich gelingt diese differenzierte Wahrnehmung von Marketing, Managementtheorien etc. aus meiner Sicht nach wie vor eher selten und man schmückt sich in Feuilletons, Pastorenkonferenzen und an anderen Stellen gerne damit, dass man diesen ganzen Kram einfach rundweg ablehnt, um zum „Wesentlichen“ zu gelangen.

  3. Hallo Simon, im letzten Jahr bei unserer Gemeindeleitungsklausur hat ein lieber Bruder im Impulsgespräch gesagt man nicht Zäune ziehen sondern Brunnen bauen muss um seine Schäfchen zu halten und um neue auch dazukommen zu lassen. Ist doch schön wenn man ein oder auch viele Steine dieses Brunnen sein darf. Oder man ist der Zement der vieles zusammenhält und bindet. Es freut mich sehr das Ihr einen tollen Brunnen baut und Euch an dem Wasser des Lebens erfreut. Vielen Dank für den Impuls – er hält :-) Liebe Grüße, dein Bruder im Herrn, Ralf

  4. … wobei Netzwerker keine „Schäfchen“ haben, oder?! ;-)

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