Gestern haben wir erstmalig einen für mich ganz wunderbaren Frühgottesdienst „Vom Dunkel ins Licht“ gefeiert. Mit dem Aushalten der Dunkelheit, mit der Weitergabe des Lichts, in der Taufe eines Jugendlichen und im Abendmahl durften wir spüren, was Neuanfang bedeutet. Was wäre das Leben, wenn wir nicht neu beginnen könnten, wenn etwas zu Ende geht. Das ist auch für mich gerade wichtig.
Mein persönliches Ostern ereignete sich allerdings eigentlich schon am Karfreitag-Nachmittag. Schon seit einigen Tagen hatten wir ein Zimmer gesucht. Für einen Flüchtling aus Syrien, dessen große Familie schon einige Monate in Nordhorn lebt und der verständlicherweise auch hier bei ihnen sein wollte und nicht in einer anderen deutschen Stadt. Unsere Stadt wiederum hatte zurecht darauf aufmerksam gemacht, dass es an irgendeinem Punkt Einschränkungen dafür gibt, wie viele Menschen in einer Wohnung mit einer bestimmten Fläche angemeldet sein dürfen. Und so brauchten wir vor allem eine neue Meldeadresse für ihn.
Nach einigem Suchen hatten wir dann am Karfreitag plötzlich zwei Optionen für Samih: Eine für drei Monate leer stehende Wohnung mitten in der Stadt, die der eigentliche Bewohner (obwohl unterwegs und nicht darauf vorbereitet) einem völlig Fremden voll Vertrauen überlassen hätte. Und ein kleines Zimmer in der Nähe unserer Kirche bei einer Familie, deren Tochter gerade ausgezogen und nur noch zeitweise zu Hause ist.
Und so kam es zu einem spontanen Treffen im Wohnzimmer von Andrea und Michael, zwei Engagierten unserer Gemeinde, und ihren Kindern, die unseren syrischen Neubürgern in Sachen Gastfreundschaft mal überhaupt nicht nachstehen. Und das muss ich euch kurz beschreiben, weil es so typisch und wunderbar ist: Im Wohnzimmer saßen Anke, eine unserer treuesten Mitarbeiterinnen beim Flüchtlingscafe „Open Door“. Dann Anas, der mit seinem Dankesbrief an das deutsche Volk im Dezember die Aufmerksamkeit aller nationalen Medien erhielt und der inzwischen bei Michael und Andrea mit im Haus wohnt. Außerdem Samiu, Marjola, Emi und Rajani aus Albanien – eine Familie, die vermutlich auch irgendwann bald abgeschoben wird, die aber in der Zwischenzeit nicht müde wird, anderen mit ihrer Fröhlichkeit und Herzlichkeit zu helfen. Samiu hatte an Weihnachten den meisten Text als einer der Weisen in unserem Krippenspiel, obwohl er nach ein paar Wochen in Deutschland quasi kein Deutsch sprach. Er hat dann einfach die Laute gelernt und dabei versucht zu verstehen, was er eigentlich sagt. Jetzt im März übersetzt er für uns zwischen Deutsch und Arabisch, was er als Albaner neben Englisch zufällig auch noch perfekt spricht. Und dann eben Samih aus Syrien mit seiner Cousine Reem und seinem Cousin Basel, drei Personen dieser herzlichen, dankbaren christlichen Familie aus Syrien. Andrea hatte wunderbar Pizza gebacken für alle. Die Kinder, die sich inzwischen gut kennen, spielten zusammen und ich versuchte, Samih mit der Hilfe von Samiu die beiden Optionen „Wohnung und Zimmer“ zu erklären. Samih fragte zurück und für ihn ging es nur um die Familie. Etwas verwundert erklärte ich noch einmal, dass es eine komplette Wohnung für ihn als 19-jährigen direkt im Stadtzentrum gäbe – ob er das verstanden habe? Samih sagte, er würde gerne die Familie kennenlernen. Michael neben mir grinste und sagte zu mir: „Mich wundert das nicht.“ Der Wunsch nach Integration und Kontakt und das Bestreben, möglichst schnell deutsch zu lernen, ist auch seiner Erfahrung nach in der Regel viel stärker als die Frage nach Platz, Luxus etc.
Weil wir gerade zusammen waren, rief ich die Familie an. Selbstverständlich gelte das Angebot noch, ich könnte sofort mit Samih vorbeikommen. Das taten wir und waren 5 Minuten später da. Ein herzliches Willkommen durch vier strahlende Gesichter und einen Hund. Besichtigung des kleinen Zimmers. Erste Kommunikationsversuche mit Händen und Füßen. Das Angebot, nicht nur das Zimmer nutzen zu dürfen, sondern Teil der Familie zu werden – inklusive Essen, Wäsche etc. Ein glücklicher Samih.
Es gibt größere Häuser in Nordhorn. Es gibt Familien, die in den letzten Jahren deutlich weniger an Krankheit und Leid und Schwierigkeit selbst durchgemacht haben und gerade durchmachen. Es gibt Menschen, die viel mehr an Geld und Besitz haben als diese Familie. Aber für sie war es einfach selbstverständlich zu helfen (da wussten sie noch gar nichts davon, dass die Stadt wahrscheinlich eine kleine Miete zahlt) mit dem, was sie anbieten können. Das hat mich sehr beeindruckt.
Gleich vorgestern ist Samih eingezogen. Für ihn ein Neuanfang. Für uns alle ein bisschen Ostern. Gemeinsam mit seiner neuen Gastmutter und seiner Familie war er dann auch bei der Osternacht dabei. Am Ende haben wir uns „Frohe Ostern“ gewünscht. Da ging gerade die Sonne auf.
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