Alle Artikel mit dem Schlagwort ‘Flüchtlinge

Artikel

Ein Tag im BAMF

7 Kommentare

Heute war ich zum ersten Mal im „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“. Konkret: In seiner Außenstelle in Bramsche. Diese Erfahrung und die Geschichte von Lamaj (deren Name ich geändert habe) möchte ich gerne mit euch teilen. Und gleichzeitig noch meine Gedanken und Empfindungen zu diesem Tag etwas sortieren.

Lamaj hat mich gebeten, sie als sog. „Beistand“ zu begleiten. Ihre Geschichte ist ungefähr die Folgende: Im Libanon in einer vergleichsweise weltoffenen Familie aufgewachsen, kommt sie nach dem Tod ihrer Eltern zu einem anderen Teil der Familie, wird dort zu einem streng muslimischem Leben als Frau gezwungen und widersetzt sich diesem wiederholt. Sie verschwindet, ihre Familie findet sie und holt sie zurück. Dies führt zu dauernden Konflikten und auch zu Gewalt ihr gegenüber mit Schlägen bis zur Bewusstlosigkeit und einem Krankenhausaufenthalt. Als sie ankündigt, Christin werden zu wollen, wird ihr mit dem Tod gedroht. Eine Anzeige bei der Polizei wird nach Auftauchen des tätlich gewordenen Familienmitglieds vor ihren Augen zerrissen – er hat Beziehungen und Geld. Sie dagegen hat einen Job bei einer NGO. Sie ist nicht mittellos, aber sie kann es im Libanon nicht mehr aushalten und fürchtet um ihr Leben. Während eines Urlaubs in Frankreich entscheidet sie spontan, nie wieder zurückzukehren und beginnt ganz allein und nun doch mittellos ein neues Leben als Flüchtling, nachdem sie noch kurz zuvor indirekt für selbige gearbeitet hatte.

Artikel

Ostern an Karfreitag

Hinterlasse eine Antwort

Gestern haben wir erstmalig einen für mich ganz wunderbaren Frühgottesdienst „Vom Dunkel ins Licht“ gefeiert. Mit dem Aushalten der Dunkelheit, mit der Weitergabe des Lichts, in der Taufe eines Jugendlichen und im Abendmahl durften wir spüren, was Neuanfang bedeutet. Was wäre das Leben, wenn wir nicht neu beginnen könnten, wenn etwas zu Ende geht. Das ist auch für mich gerade wichtig.

Mein persönliches Ostern ereignete sich allerdings eigentlich schon am Karfreitag-Nachmittag. Schon seit einigen Tagen hatten wir ein Zimmer gesucht. Für einen Flüchtling aus Syrien, dessen große Familie schon einige Monate in Nordhorn lebt und der verständlicherweise auch hier bei ihnen sein wollte und nicht in einer anderen deutschen Stadt. Unsere Stadt wiederum hatte zurecht darauf aufmerksam gemacht, dass es an irgendeinem Punkt Einschränkungen dafür gibt, wie viele Menschen in einer Wohnung mit einer bestimmten Fläche angemeldet sein dürfen. Und so brauchten wir vor allem eine neue Meldeadresse für ihn.

Bildschirmfoto 2016-03-28 um 06.35.03Nach einigem Suchen hatten wir dann am Karfreitag plötzlich zwei Optionen für Samih: Eine für drei Monate leer stehende Wohnung mitten in der Stadt, die der eigentliche Bewohner (obwohl unterwegs und nicht darauf vorbereitet) einem völlig Fremden voll Vertrauen überlassen hätte. Und ein kleines Zimmer in der Nähe unserer Kirche bei einer Familie, deren Tochter gerade ausgezogen und nur noch zeitweise zu Hause ist.

Und so kam es zu einem spontanen Treffen im Wohnzimmer von Andrea und Michael, zwei Engagierten unserer Gemeinde, und ihren Kindern, die unseren syrischen Neubürgern in Sachen Gastfreundschaft mal überhaupt nicht nachstehen. Und das muss ich euch kurz beschreiben, weil es so typisch und wunderbar ist: Im Wohnzimmer saßen Anke, eine unserer treuesten Mitarbeiterinnen beim Flüchtlingscafe „Open Door“. Dann Anas, der mit seinem Dankesbrief an das deutsche Volk im Dezember die Aufmerksamkeit aller nationalen Medien erhielt und der inzwischen bei Michael und Andrea mit im Haus wohnt. Außerdem Samiu, Marjola, Emi und Rajani aus Albanien – eine Familie, die vermutlich auch irgendwann bald abgeschoben wird, die aber in der Zwischenzeit nicht müde wird, anderen mit ihrer Fröhlichkeit und Herzlichkeit zu helfen. Samiu hatte an Weihnachten den meisten Text als einer der Weisen in unserem Krippenspiel, obwohl er nach ein paar Wochen in Deutschland quasi kein Deutsch sprach. Er hat dann einfach die Laute gelernt und dabei versucht zu verstehen, was er eigentlich sagt. Jetzt im März übersetzt er für uns zwischen Deutsch und Arabisch, was er als Albaner neben Englisch zufällig auch noch perfekt spricht. Und dann eben Samih aus Syrien mit seiner Cousine Reem und seinem Cousin Basel, drei Personen dieser herzlichen, dankbaren christlichen Familie aus Syrien. Andrea hatte wunderbar Pizza gebacken für alle. Die Kinder, die sich inzwischen gut kennen, spielten zusammen und ich versuchte, Samih mit der Hilfe von Samiu die beiden Optionen „Wohnung und Zimmer“ zu erklären. Samih fragte zurück und für ihn ging es nur um die Familie. Etwas verwundert erklärte ich noch einmal, dass es eine komplette Wohnung für ihn als 19-jährigen direkt im Stadtzentrum gäbe – ob er das verstanden habe? Samih sagte, er würde gerne die Familie kennenlernen. Michael neben mir grinste und sagte zu mir: „Mich wundert das nicht.“ Der Wunsch nach Integration und Kontakt und das Bestreben, möglichst schnell deutsch zu lernen, ist auch seiner Erfahrung nach in der Regel viel stärker als die Frage nach Platz, Luxus etc.

Bildschirmfoto 2016-03-28 um 06.38.06Weil wir gerade zusammen waren, rief ich die Familie an. Selbstverständlich gelte das Angebot noch, ich könnte sofort mit Samih vorbeikommen. Das taten wir und waren 5 Minuten später da. Ein herzliches Willkommen durch vier strahlende Gesichter und einen Hund. Besichtigung des kleinen Zimmers. Erste Kommunikationsversuche mit Händen und Füßen. Das Angebot, nicht nur das Zimmer nutzen zu dürfen, sondern Teil der Familie zu werden – inklusive Essen, Wäsche etc. Ein glücklicher Samih.

Bildschirmfoto 2016-03-28 um 06.33.50Es gibt größere Häuser in Nordhorn. Es gibt Familien, die in den letzten Jahren deutlich weniger an Krankheit und Leid und Schwierigkeit selbst durchgemacht haben und gerade durchmachen. Es gibt Menschen, die viel mehr an Geld und Besitz haben als diese Familie. Aber für sie war es einfach selbstverständlich zu helfen (da wussten sie noch gar nichts davon, dass die Stadt wahrscheinlich eine kleine Miete zahlt) mit dem, was sie anbieten können. Das hat mich sehr beeindruckt.

Bildschirmfoto 2016-03-25 um 16.57.14Gleich vorgestern ist Samih eingezogen. Für ihn ein Neuanfang. Für uns alle ein bisschen Ostern. Gemeinsam mit seiner neuen Gastmutter und seiner Familie war er dann auch bei der Osternacht dabei. Am Ende haben wir uns „Frohe Ostern“ gewünscht. Da ging gerade die Sonne auf.

 

Artikel

Zwei Briefe

1 Kommentar

Heute war DER BRIEF in der Post. Im Briefkasten von Pellumb, Linditha und ihrer Tochter Arensa. Genau an dem Tag, an dem Linditha für ihr Bewerbungsgespräch üben wollte.

Arensa konnte schon nach kurzer Zeit deutsch. Inzwischen ist sie Klassenbeste. Jeder auf dem Schulhof kennt sie. Sie ist sehr beliebt. Sie lacht viel. Beim Krippenspiel wollte sie gerne mitmachen. Hat sogar einem anderen Flüchtlingskind geholfen, das gar kein Deutsch konnte. In sechs Wochen wurde sie von einer Nichtschwimmerin zur Freischwimmerin. Sie ist im Sportverein. Sie hat viele Freundinnen.

Artikel

Von der Liebe zum Eigenen und zum Anderen

Hinterlasse eine Antwort

Mein Eindruck der letzten Wochen in den Debatten um die sog. Flüchtlingskrise ist, dass all die Argumente, die in den Kommentarspalten ausgetauscht werden, dass all die Posts und Videos in den sozialen Netzwerken, dass all dies jedenfalls nicht die Wirkung hat, das jeweils andere Lager maßgeblich argumentativ zu überzeugen. Die Emotionen (Mitgefühl, Erschrecken, Sorge, Angst) sind stärker als Argumente, Daten, Fakten etc. Die allermeisten haben sich positioniert, im Lager der sog. „Gutmenschen“ oder dem der „Besorgten“. Manche versuchen noch zu vermitteln, aber sehen sich irgendwann auch gezwungen, sich aufgrund der immer neuen Schreckensmeldungen zu der einen oder der anderen Gruppe zu schlagen. Dabei ist dann auch entscheidend, ob es eher die Schreckensmeldungen aus den Krisengebieten (Folterungen, Exekutionen, Zerstörung von Kunst und Kultur, Bomben, Vergewaltigungen) oder die Schreckensmeldungen vor Ort (Schulsport wegen Belegung der Turnhalle nicht mehr möglich) sind, die das eigene Wohlbefinden mehr in Unruhe versetzen. Mir scheinen die Fronten ziemlich festgezurrt und verhärtet. Die Kommentarspalten zu allen Beiträgen mit Flüchtlings-Thematik lesen sich irgendwie immer ziemlich ähnlich.

Artikel

Eine bewegende Begegnung

Hinterlasse eine Antwort

Heute nachmittag durfte ich Guvara aus Syrien kennenlernen. Eigentlich heißt er anders, aber im Netz nennt er sich so, um sich und seine Familie, die nach wie vor in Syrien lebt, zu schützen. Deshalb tue ich es auch. Diese Begegnung hat mich auf eine Weise bewegt wie wenige andere.

So sehr, dass ich gerade im Gottesdienst zum Buß- und Bettag meine vorbereitete Predigt nach der Hälfte zur Seite gelegt habe und von seiner Geschichte erzählt habe. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich selbst auf der Kanzel innerlich so bewegt war, dass ich gar nicht mehr weiterkam und selbst nur unter Tränen zum „Amen“ gelangt bin. Ich möchte euch auch gerne von ihm erzählen: