Zeit, nach etwa einem Jahr diese Reihe fortzusetzen. Ich hab ja auch in den Beiträgen zuvor immer versucht, von mir zu erzählen. Von der Entdeckung eigener rassistischer Muster, von blinden Flecken und vom Versuch, auch in meinen Kontexten (z.B. der Kirche, in der ich arbeite) einen neuen Blick einzuüben, auf BIPoC zu hören, von ihnen zu lernen und an den Stellen, an denen mir Dinge auffallen, möglichst mutig zu sein und diese anzusprechen.
Um es gleich vorweg zu sagen: Es könnte besser laufen. Einige Dinge sind mir gelungen. An anderen Stellen hab ich geschwiegen und mich anschließend geschämt. Warum ist das so? Zuerst einmal und immer noch: Weil ich es mir als weißer Mann schlichtweg leisten kann. Ich hab ne Menge Privilegien und ich kann mir überlegen, ob ich gerade genug Lust und Kraft habe für Auseinandersetzungen, die unangenehm sind. Meistens ist mir dann schnell bewusst, dass allein das schon so ungerecht ist, dass BIPoC genau diesen Luxus eben nicht haben. Aber manchmal denke ich auch insgeheim: Diesen Kampf erspare ich mir jetzt mal gerade. Naja, und dann ist es auch so, dass ich immer noch am Anfang eines Lernprozesses bin. Manchmal vergesse ich das und fühl mich wie so ein Antirassismus-Experte, weil ich ein paar Blog-Posts zum Thema geschrieben habe, aber die Wahrheit ist: Mir fallen manchmal selbst die Klassiker des Alltagsrassismus immer noch nicht auf.
Konkret und aktuell: Die basis:kirche, bei der ich auch mit einem Format mitmache und der ich mich verbunden fühle, hat gestern ein Video veröffentlicht. In diesem Video wird mehrfach Jesus weiß dargestellt und ganz am Ende ein offen rassistischer Witz mit dem N-Wort eingespielt (inzwischen ist das Video gekürzt). Dieses Video war längere Zeit vor der Veröffentlichung für viele Beteiligte einsehbar. Offenbar ist niemandem der Rassismus überhaupt auch nur aufgefallen. Ich hatte auch Zugang zum Video und kann nicht mehr ganz rekonstruieren, bis zu welcher Stelle ich vor längerer Zeit reingeschaut habe, aber es ist auch egal, denn ich bin mir ganz sicher: Ich hätte derjenige sein können, der es sieht und der gleichzeitig nichts sieht.
Was folgt, sind natürlich Entschuldigungen und Korrekturen. Das ist richtig und nötig. Aber es reicht halt nicht. Und deshalb müssen wir noch einmal einen Schritt zurückgehen.
Relativ früh im Prozess der Gründung der basis:kirche war mir aufgefallen: Meine Güte, dieses Team ist ganz schön weiß! Genau genommen war es komplett weiß. Und ich bin hundertprozentig sicher: Vor zwei Jahren wäre mir das garantiert nicht aufgefallen. Seitdem hat sich aber vor allem durch Freundschaften zu BIPoC mein Umfeld zumindest ein wenig geändert. Ich folge z.B. deutlich mehr BIPoC auf insta. Klingt vielleicht erstmal banal, ändert aber einiges. Denn schon allein dadurch, dass ich so jeden Tag schwarze Menschen sehe (und nebenbei viel über ihre Lebenswelten und Perspektiven lerne), fällt mir auf, wenn auf einmal alles um mich herum wieder weiß ist. Naja, ich habs zu dem Zeitpunkt angesprochen und versucht, BIPoC ins Team holen, aber auch nicht konsequent. Inzwischen hatte sich das Team selbst um BIPoC bemüht, aber es gab eine weitere Situation, aus der wir lernen können: Bei der Eröffnungsparty ereignete sich ein klassischer Fall von tokenism (Instrumentalisierung von Personen weniger privilegierten Gruppen als Aushängeschild) mit der einzigen schwarzen Person im Raum. Es gab tausend gute Gründe (Feierstimmung, Müdigkeit, Moment verpasst) dafür, dass ich in dem Moment nichts gesagt habe, aber keiner reichte aus. Anschließend hab ich mich geschämt und um Entschuldigung bei der betroffenen Person gebeten. Und dann hatten wir ein gutes internes Gespräch mit sehr viel Zuhör- und Lernbereitschaft von Weißen. Das war gut.
Aber das Problem bleibt – und das heißt in diesem Fall Repräsentation. Hier agiert ein komplett weißes Team. Niemandem ist etwas aufgefallen. Überraschung? Nein. Für mich nicht. Denn eigentlich musste es so kommen. Selbst einigermaßen sensibilisierten Menschen wie mir mit absolviertem Antirassismus-Workshop passiert das. Ähnliches wird wieder passieren – auch in unserer Kirche. Weil eben in den meisten Kontexten keine BIPoC dabei sind.
In unserer Kirche gibt es auch eine Menge Sexismus. Im Hinblick auf die Geschlechter-Verteilung zwischen Mann und Frau (über das Binäre hinaus bin ich schon wieder unsicher und kenne das Team nicht gut genug) würde ich sagen, dass die Zusammensetzung des Teams der basis:kirche gut gelungen ist. Niemand wäre auf die Idee gekommen, das ganze Team männlich zu besetzen (und bei unserem eigenen Format mit drei Männern haben wir sehr lange diskutiert, ob wir das machen können). Ich bin mir fast sicher, dass ein offensichtlich sexistischer Spruch in einem Video nicht durchgegangen wäre. Warum? Weil Frauen im Team repräsentiert sind und es aufgefallen wäre.
Was brauchen wir also aus meiner Sicht: 1) Einen offenen Umgang mit Fehlern (dieser Post hier ist mein Versuch; aus meiner Sicht aber gerne auch direkt auf dem Kanal in einer offenen Diskussion darüber, wie wir lernen können), 2) bessere Repräsentation von BIPoC vor und hinter der Kamera und bis dahin 3) Anti-Rassismus-Trainings für uns Weiße noch und nöcher. Und die Bringschuld für alle drei Punkte liegt im Übrigen nicht bei den BIPoC – wir können fragen, ob sie uns helfen und die, die ich kenne, tun das gerne (obwohl sie immer und immer solche Nackenschläge einstecken müssen).
[Noch eine Ergänzung zum letzten Satz: Ich hatte dabei an Leute in meinem Umfeld gedacht, die sehr, sehr, sehr geduldig immer wieder mir und anderen helfen, die sich auf den Weg gemacht haben. Trotzdem ist der Satz nicht gut, denn BIPoC machen immer wieder darauf aufmerksam, dass sie nicht unsere Erklär-Bären sind oder sein müssen – das müssen wir schon selbst hinbekommen.]
Ruth Radtke
Danke für diesen offenen Beitrag. Auch mir geht es so, dass ich auf Insta neue BiPiOC’s kennenlerne und mich mit vielen weiteren Aufklärungslinks beschäftige.Das Video habe ich noch gesehen, aber gleichzeitig auch schon die Kritik. Ich hoffe ,ich werde in Zukunft auch schneller reagieren. WIR müssen uns sensibilisieren, hinsehen und aufschreien!
Schönes WE ! Ruth