In diesem Jahr besuche ich eine dreiteilige Fortbildung zum Thema „Lustvolles Lassen“. Dieses Thema passt gut in die „Zeit der Freiräume“, die unsere Landeskirche ausgerufen hat. Dabei geht es nun allerdings nicht darum, ausgerechnet das Lustvolle sein zu lassen, wie schon jemand vermutete, sondern vielmehr darum, das Lassen von Dingen/Projekten/Terminen auf lustvolle Weise zu praktizieren. Genau das kommt einem ja zunächst oft sehr schwer vor, kann dann aber im Vollzug und im Rückblick tatsächlich nicht nur befreiend, sondern regelrecht beglückend sein. Viele gute Impulse habe ich schon bekommen im Rahmen dieser Fortbildung und im Austausch mit den anderen TeilnehmerInnen.

In diesem Zusammenhang ist mir auch ein Text aus dem neuen Buch von Hartmut Rosa über die Unverfügbarkeit begegnet, den ich hier ein wenig zusammenfassen und kommentieren möchte, weil er mich angesprochen hat (um das „Angesprochen-Werden“ geht es dann übrigens auch in dem Text selbst). Es handelt sich um die Kapitel 2 und 5 (für diejenigen, die das Buch kennen oder zu Hause stehen haben).

Vier Dimensionen der Verfügbarkeit

Rosa beschreibt zunächst vier Dimension der Verfügbarkeit. Etwas verfügbar zu machen heißt, (1) etwas sichtbar zu machen (z.B. die Welt in der Nacht durch elektrisches Licht), (2) etwas zugänglich zu machen (z.B. den Mond durch Raketen), (3) etwas beherrschbar zu machen (z.B. die Umgebungstemperatur durch eine Klimaanlage) und (4) etwas nutzbar zu machen im Sinne der Instrumentalisierung. Im Hinblick auf Basisinstitutionen unserer Gesellschaft lässt sich schnell deutlich machen, dass es z.B. in den Bereichen Wissenschaft (Vergrößerung der Reichweite des Gewussten), Technik (Unter-Kontrolle-Bringen der uns bekannten Welt), Ökonomie (Kapitalvermehrung) und Politik/Recht (Berechenbar-Machung und Steuerung sozialer Prozesse) jeweils darum geht, die Reichweite jeweils maximal auszuweiten. So manifestiert sich Macht – zumeist natürlich auf Kosten anderer.

Resonanz und Verfügbarkeit

Viele verschiedene Dinge können bei uns Menschen Resonanz erzeugen: Ein Gesprächspartner, ein eindrucksvoller Berg, ein Lied, ein Bild … Die These, die Hartmut Rosa im Weiteren ausführt, ist: Resonanz entsteht bei uns Menschen nur, wenn etwas „halb verfügbar“ ist, also sich zwischen völliger Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit bewegt.

Etwas, was für mich vollständig unverfügbar ist, kann keine Resonanz bei mir auslösen. Das ist nachvollziehbar. Wir leben aber in einer Zeit, in der vieles immer leichter verfügbar wird: War es noch vor einiger Zeit nötig, eine Aufführung oder ein Konzert zu besuchen, um ein bestimmtes Musikstück in entsprechender Qualität zu hören, entstand sodann der Wunsch, diese Musik auf Tonträger zu bannen, um sie auch unabhängig von der Aufführung der Stücke dem Besitzer des entsprechenden Tonträgers jederzeit zugänglich zu machen. Immer noch aber musste ich natürlich die entsprechende CD besitzen und manche Musikfreunde legten sich große Sammlungen an LPs/CDs etc. an (siehe oben Dimension 2 „Erreichbarkeit“), um so zumindest die Möglichkeit zu haben, in einer bestimmten eigenen Gestimmtheit eine bestimmte Musik hören zu können, um so eine Resonanzerfahrung zu machen. In Zeiten von Spotify etc. steht uns nun prinzipiell die gesamte jemals aufgenommen Musik jederzeit zur Verfügung. Ähnliches gilt für Bilder, Texte, Filme etc. Diese unwahrscheinliche Reichweitenvergrößerung innerhalb kürzester Zeit hat ihren Antrieb sicher auch darin, die Welt möglichst umfassend verfügbar machen zu wollen, gerade weil Resonanz ein unverfügbares Geschehen bleibt.

Angerufen-Werden und Festhalten-Wollen

Nun entsteht aber Resonanz nicht allein dadurch, dass ich Zugriff auf etwas habe, sondern auch insbesondere dadurch, dass mich etwas von Außen erreicht/anspricht. Gerade die Unverfügbarkeit z.B. des ersten Schneefalls/des Sonnenuntergangs macht die Resonanzerfahrung besonders intensiv. Auch ein Gedicht hat mir nur so lange „etwas zu sagen“, solange ich es nicht vollständig begriffen habe. Der Pianist Igor Levit antwortete mal auf die Frage, ob er den ersten Satz der Mondscheinsonate noch hören könne: „Ja. Ich habe die Sonate erst kürzlich gespielt. Je häufiger ich eine Sonate spiele, je mehr ich damit arbeite, desto weniger verstehe ich sie, desto mehr entfernt sie sich von mir, desto glücklicher werde ich damit, und desto öfter will ich sie spielen. […] Ich möchte nie sagen: Das habe ich verstanden, das Nächste, bitte.“

Vielleicht kennt ihr auch Menschen, die so oder so ähnlich formulieren: „Mit den Beatles bin ich durch, ich höre jetzt …“ oder „Mallorca haben wir abgegrast, inzwischen fliegen wir nach … oder „Weihnachten ist immer dasselbe, wir sind jetzt immer weg.“ Solches Reden ist nicht nur irgendwie in trauriger Weise fertig mit den entsprechenden Resonanzräumen, sondern weckt fast den Verdacht, dass dort niemals echte Resonanz stattgefunden haben könnte. Kennzeichen von Resonanz ist hingegen, dass das Gegenüber etwas Anderes, Fremdes, manchmal auch Widerständiges und sich Entziehendes bleibt.

Manchmal führt die Erkenntnis, dass das Gegenüber uns zumindest zum Teil entzogen bleibt, auch dazu, die Resonanzerfahrung „festhalten“ und bannen zu wollen, indem wir z.B. den Moment mit dem Fotoapparat knipsen. Jeder von uns kennt aber auch die Enttäuschung, die damit einhergeht, dass wir einsehen müssen, den Moment nicht festhalten zu können (und im Zweifel sogar durch das Knipsen zu verpassen).

Unverfügbarkeit ist also wichtig sowohl im Hinblick auf das Subjekt als auch auf das Objekt als auch auf den Prozess der Resonanzerfahrung. Für uns selbst als Subjekte ist die Bereitschaft entscheidend, sich berühren und verändern zu lassen – Rosa spricht hier auch von Verletzlichkeit. Für das Objekt, das Resonanz auslöst, ist wichtig, dass es in mindestens einem der oben beschriebenen vier Sinne unverfügbar ist und sich so der Berechnung und Beherrschung widersetzt. Der Prozess kann durch eine Haltung des Beherrschens/Verfügbarmachens geradezu zerstört oder zumindest seiner Eigendynamik beraubt werden.

Im Flow sein

Ähnliche Erkenntnisse hat im Übrigen Mihaly Csikszentmihalyi in seiner Theorie der Erfahrung eines „flows“ herausgearbeitet. Dieser flow stellt sich nämlich gerade bei Tätigkeiten ein, die uns weder über- noch unterfordern. Eine (wenn auch nur erwartete) Überforderung lässt etwas, was potentiell bei mir Resonanz auslösen könnte, außerhalb meiner Vorstellungswelt und unerreichbar bleiben. Eine Unterforderung dagegen lässt mich das Gefühl haben, das Objekt verfügbar zu haben.

Erreichbarkeit und Verfügbarkeit

Rosa unterscheidet schließlich zwischen Erreichbarkeit und Verfügbarkeit (jeweils wieder im Hinblick auf Subjekt, Objekt und Prozess). Etwas muss erreichbar sein, um Resonanz auslösen zu können. Die Bibel muss mir zur Verfügung stehen, um Resonanz auslösen zu können, aber ich werde nie mit ihr fertig. (Objekt) Ich selbst kann mich für eine Erfahrung öffnen, aber ich habe sie nicht in der Hand. So funktioniert es eben nicht: „Ich hab ne Masse Geld für die Konzertkarten bezahlt. Jetzt will ich auch innerlich berührt werden!“ (Subjekt) Im Prozess ergibt sich im besten Fall die Situation, dass das Gegenüber mit mir interagiert und bedeutungsvoll „zu mir spricht“. Ein Grundkonflikt ergibt sich aber, wenn versucht wird, diese Resonanz-Momente von der Erreichbarkeit in die Verfügbarkeit zu überführen (Selbstoptimierung/technische Weltbeherrschung/Output-Maximierung).

Interessanterweise beschließt Rosa das Kapitel theologisch: Im jüdischen und christlichen Glauben wird Gott ebenfalls als einerseits erreichbares, aber dennoch prinzipiell unverfügbares Gegenüber gedacht. Im Gebet geht es daher um ein gegenseitig aufeinander hörendes Bezogensein, das eine verwandelnde Kraft hat und zugleich beiden Seiten die eigene Stimme und Antwort-Freiheit lässt.

Das empfinde ich als sehr fein beobachtet und sehr schön gesagt.