Heute im Gottesdienst habe ich ein Experiment gewagt und bin ohne Manuskript auf die Kanzel gestiegen um zu predigen. Dafür aber mit jeder Menge Fragen aus der Gemeinde. Bevor ich von dieser Erfahrung berichte – ein kurzes Loblied auf „Die Frage“.
Ein Workshop vom Kirchentag in Stuttgart hatte einen besonders intensiven Nachhall bei mir. Es ging in diesem Workshop zunächst um „Persönliches im Gottesdienst“ und dann aber auch um die Schönheit der Frage. Ein Pastor berichtete sinngemäß, dass er nach fünf Jahren in der Gemeinde einfach nichts mehr zu sagen hatte, weil er müde davon war, sich jeweils über 15 Minuten zu einem Thema auszulassen, zu dem überhaupt niemand eine Frage gestellt hatte. Und oftmals ist auch das ja die Erfahrung von Predigthörern, dass man den Eindruck hat, es werden Antworten auf Fragen gegeben, die eigentlich gar niemand gestellt hat.
Vielleicht trägt auch dazu bei, dass wir als Predigende oft schon zu schnell bei den Antworten sind und die Fragen nicht lange genug Fragen sein lassen. Oder uns den eigenen Fragen erst gar nicht stellen. Ein Dozent an der Uni sagte mir einmal: „Wenn Sie in der Bibel mehr als drei Verse lesen und Ihnen kommt nicht irgendeine Frage in den Sinn, dann lesen Sie noch einmal genauer!“
Zurück zum Kirchentag: Wir Workshop-Teilnehmer wurden dann aufgefordert, uns jeder eine Frage zu überlegen. „Wo ist mein verstorbener Opa jetzt?“ „Wieso tut Gott nichts gegen die Gewalt?“ „Warum ist die Liebe zugleich so schön und so schmerzhaft?“ Dann stellten wir uns jeweils zu siebt einander gegenüber auf. Mir gegenüber stand einer der sieben Fragenden, ich gehörte zu den sieben Antwortenden. Jeweils nach einer Minute rückten die Fragenden eine Position auf und so kam ich dazu, auf sieben sehr unterschiedliche Fragen sieben mal eine Antwort versuchen zu dürfen. Ganz spontan – mit dem, was ich weiß, erahne und bin – habe ich so gut es geht versucht, etwas zu sagen. Die spannende Erfahrung war: Ich habe etwas zu sagen. Auch ohne dass ich mir das vorher ganz genau überlegt hatte. Zumindest für eine Minute. Und die Fragenden waren hoffentlich anschließend ein bisschen lebensklüger nach sieben auch ganz unterschiedlichen Antworten.
Mit unserem neuen Konfi-Kurs haben wir diese Lust an der Frage dann gleich in der ersten Stunde aufgenommen. Zum einen, indem wir die BürgerInnen unserer Stadt mit Fragen der Erinnerungsguerilla konfrontiert haben. Zum anderen, indem wir den Versuch oben mit den 7 Fragen und 7 Antworten selbst durchgeführt haben. Klappt auch mit Jugendlichen hervorragend. Wir alle haben etwas zu sagen. Nicht nur der Pastor-Profi.
Mir hat „Die Frage“ aber trotzdem noch keine Ruhe gelassen und ich habe mich selbst gefragt, wo sie im Gottesdienst einen Platz haben könnte. Während unseres Jahres in den USA vor acht Jahren habe ich in einer Gemeinde gearbeitet, wo etwa alle 2-3 Monate keine klassische Predigt gehalten wurde, sondern sich unser Pastor dort spontan auf Fragen aus der Gemeinde einließ. „Ask Pastor Tim!“ hieß das Format und da wurde dann ganz aus der Gemeinde mit kleinen eingesammelten Zetteln bunt durcheinander gefragt vom Leid in Welt bis hin zu speziellen Auslegungsfragen der Bibel. Mir hat das immer gut gefallen, auch wenn die Gefahr sicherlich sein kann, dass sich Pastoren noch mehr als sowieso schon als „Die Experten“ exponieren, die auf jede Frage eine Antwort haben (hier kommt es dann sicher auch darauf an, wie sensibel man mit den gestellten Fragen umgeht, um sie nicht mit Antworten niederzubügeln, sondern sie als Fragen ernst zu nehmen und sie auch zu eigenen Fragen zu machen).
Heute nun waren für diesen Sonntag Bibeltexte vorgeschlagen, die alle einen Bezug zur Taufe haben. Und da habe ich es einfach mal gewagt: Am Eingang bekam jeder einen Zettel und bei der Begrüßung die Aufforderung, bis zum Orgelzwischenspiel direkt vor der Predigt eine Frage zum Thema „Taufe“ aufzuschreiben. Wir haben diese Zettel eingesammelt. Dann hatte ich noch ungefähr eine Minute Zeit, die Fragen zu sortieren und los ging es. 16 Fragen – mit so viel hatte ich nicht gerechnet. Das war spannend und hat mir viel Freude gemacht. Das freie Sprechen mag ich ja sowieso gerne. Mein Eindruck: Die Aufmerksamkeit war sehr groß. Ich wusste, ich spreche zu Dingen, die mindestens einen in diesem Moment wirklich interessieren. Wahrscheinlich sogar ein paar mehr. Schwierig ist, das ganze rund werden zu lassen, so dass es zu einem guten Abschluss kommt und nicht nur ein Frage-Antwort-Spiel bleibt, dass irgendwie beliebig endet. Ich hoffe, dass das auch einigermaßen geklappt hat.
Am Ausgang haben sich doch einige sehr positiv geäußert. „Unbedingt wiederholen!“ sagte einer. Vielleicht so, vielleicht auch etwas anders. Aber auf jeden Fall so, dass die Frage ihr Recht bekommt.
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