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Rassismus (Teil 6) – White fragility

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Happyland ist das Land, in dem es sich weiße Menschen ein wenig gemütlich gemacht haben. Man profitiert selbst und fühlt sich noch gut dabei. Alles gar nicht mal unbedingt bewusst, um anderen zu schaden, sondern vielleicht aus einer Mischung aus Gewohnheit, Trägheit, Blindheit für das Offensichtliche und noch manch anderem. Besonders betroffen und gefährdet sind hier diejenigen, die sich selbst für weltoffen/liberal/links und Rassismus für etwas halten, das ganz weit weg von Ihnen geschieht. Selbstverständlich aber nicht im eigenen Happyland – da hatten wir ja schon einen Blick drauf geworfen.

Ein entscheidender Faktor, dass dieses Leben im Happyland so gut funktioniert, ist seine Grenzschutz-Polizei. Sie steht im Bild für das, was in der Rassismus-Debatte auch als „white fragility“ (weiße Zerbrechlichkeit) bezeichnet wird. Gemeint ist damit eine mehr oder weniger starke Abwehrhaltung, die beinahe automatisch einsetzt, wenn das Thema Rassismus uns zu nahe rückt.

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Rassismus (Teil 5) – Happyland

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Die Autorin Tupoka Ogette (Autorin von „Exit Racism“) hat ein Bild in die Debatte eingeführt, das ich sehr eindrücklich finde und Euch heute einmal vorstellen möchte. Es geht um das sogenannte Happyland.

Was ist mit diesem Happyland gemeint, das ein wenig nach sorgenfreiem Vergnügungspark klingt und in gewisser Hinsicht vielleicht sogar auch ist? Ogette versteht darunter genau den Bewusstseinszustand, in dem sich weiße Menschen befinden, bevor sie sich aktiv mit Rassismus als System und der eigenen rassistischen Sozialisierung auseinandergesetzt haben.

Stellen wir uns dieses Land einmal so vor, wie ich manche Communities in weißen Vorstädten der USA kennengelernt habe: Mit blickdichten Mauern, die schwer zu überwinden sind und mit einem Wachdienst, der als eine Art Grenzschutz agiert.

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Rassismus (Teil 4) – White Privilege

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Zu den überraschenden Einsichten von jemandem wie mir, der gerade erst angefangen hat, sich mit Rassismus wirklich ernsthaft auseinanderzusetzen, gehört folgende Erkenntnis: Ich bin weiß. Also nicht, dass mir das beim Blick in den Spiegel noch nie aufgefallen wäre, aber um ehrlich zu sein, habe ich mich noch nie damit auseinandergesetzt, was genau das bedeutet. Warum nicht? Weil ich nicht dazu gezwungen und herausgefordert war. Schlichtweg: Weil ich zufällig Teil der Mehrheitsgesellschaft bin.

Das geht BiPoC (Black, Indigenous and People of Color) in Deutschland nun quasi täglich anders. Immer wieder ist ihre Hautfarbe Thema. Und nicht nur das – sondern sie führt zu handfesten Nachteilen und Diskriminierungen im Alltag.

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Rassismus (Teil 3) – Geschichte ist nicht obsolet

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Wer sich mit Rassismus beschäftigt, kommt nicht ganz umhin, sich auch mit dessen Geschichte zu beschäftigten. Menschen wie Dieter Nuhr verzichten darauf. Er schreibt: „So wie ICH den Begriff Rassismus verwende, wird er im Umgangssprachlichen verwendet, und das ist die Sprache, die ich auf der Bühne spreche. Für die akademische Umdefinition des Rassismus-Begriffes plötzlich Allgemeingültigkeit zu fordern, ist leider typisch für den ideologisierten akademischen Prozess.“

Mit den Akademiker*innen meint er vermutlich Alice Hasters, Tupoka Ogette u.a., die in den vergangenen Jahren darauf aufmerksam gemacht haben, dass der in Deutschland im Allgemeinen Verwendung findende Rassismus-Begriff eben gerade nicht ausreichend ist, sondern auch in seiner Entstehungsgeschichte verstanden werden muss. Gerade wir Deutschen müssten ja wissen, dass wir Begriffe nicht einfach nach eigenem Gutdünken neu definieren können, sondern diese immer auch in ihrem historischen Kontext zu betrachten sind. Deshalb ein kurzer Ausflug in die Geschichte des Rassismus in Stichworten, der vermutlich bei den Wenigsten von uns Inhalt des Schul-Unterrichts gewesen ist:

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Rassismus (Teil 2) – Doch nicht in Deutschland!

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„Rassismus ist ja bei uns jetzt nicht so das große Problem wie zum Beispiel in den USA. Und wenn, dann sind es ja die Nazis, die rassistisch sind. Und mit denen hab ich nichts zu tun.“

Das eigentliche Problem im Hinblick auf strukturellen Rassismus sind aber nicht die Nazis, die AfD und Donald Trump, sondern aufgeklärte, progressive und liberale Menschen wie du und ich, die Rassismus jederzeit öffentlich brandmarken würden. Das zumindest sagt Robin DiAngelo (Autorin von „Wir müssen über Rassismus sprechen“): Progressive Weiße, politisch eher links, mit BiPoC (Black, Indigenous and People of Color) im Freundeskreis, richten ihrer Meinung nach zurzeit den größten Schaden an.

Warum ist das so?

Insbesondere in Deutschland verbinden wir den Begriff Rassismus vor allem mit der politisch extremen Rechten. „Nazis sind Rassisten!“ – darauf kann man sich schnell einigen. Björn Höcke darf so genannt werden, erlaubt uns ein Dresdner Politikwissenschaftler. Aber dann hört es auch schon auf. Das Problem dabei ist: Wir reduzieren damit das Phänomen „Rassismus“ auf eine Gruppe von Menschen, die für uns Aufgeklärte/Linke/Progressive maximal weit entfernt ist. Wir haben dann damit nichts mehr zu tun. Wir können brandmarken, aber müssen uns selbst nicht hinterfragen. Wir können mit dem Finger auf andere zeigen, aber nicht auf uns selbst.

Ein zusätzliches Problem: Wenn wir nur auf einzelne Menschen oder Gruppen von Menschen zeigen, die wir für rassistisch halten, verschießen wir damit die Augen vor dem, was sich struktureller oder institutioneller Rassismus nennt. Damit ist gemeint: Ganz unabhängig davon, ob einzelne Menschen absichtsvoll rassistisch denken/reden/handeln, gibt es eine innere Logik in den Institutionen unserer Gesellschaft, in ihren Gesetzen und Normen, die Rassismen voraussetzt, begünstigt, weitertradiert. Unser gesellschaftliches Miteinander ist zum Teil so organisiert, dass es die Angehörigen der eigenen Gruppe systematisch gegenüber den Nicht-Dazugehörigen privilegiert. In verschiedensten gesellschaftlichen Feldern wie bei politischer Beteiligung, im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt oder auch in der Kirche lässt sich dies ziemlich schnell beobachten, sobald man die Augen dafür aufmacht und Menschen zuhört, die als BiPoC eigene Erfahrungen dazu gemacht haben.

Manche dieser und noch folgender Gedanken stammen aus diesem hörenswerten Beitrag von Kokutekeleza Musebeni und Esther Distelmann:

https://www.br.de/mediathek/podcast/zuendfunk-generator/white-fragility-warum-weisse-rassismus-so-leicht-uebersehen/1806480

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe über Rassismus. Hier findest du die anderen Beiträge:

Teil 1: Zuhören als Grundvoraussetzung
Teil 3: Geschichte ist nicht obsolet
Teil 4: White Privilege
Teil 5: Happyland
Teil 6: White fragility
Teil 7: Mikroaggressionen

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Rassismus (Teil 1) – Zuhören als Grundvoraussetzung

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Vielleicht hast Du in den vergangenen Tagen die Debatte um Dieter Nuhr, seine rassistischen Kommentaren über Alice Hasters (mit denen er ihr Rassismus vorwirft), die zahlreichen Reaktionen und seine Verteidigungsrede (für die er viel Applaus bekommt) wahrgenommen. Falls nicht, spar es Dir am besten, das alles nachzuholen.

Ich beginne diesen Beitrag nur deshalb damit, weil an dieser Episode geradezu beispielhaft deutlich wird, wie die Rassismus-Debatte in Deutschland verläuft und mit welchen blinden Flecken viele von uns zu kämpfen haben. Ich schließe mich selbst ein.

Zugleich habe ich mich in den vergangenen Wochen/Monaten auf einen Weg gemacht, auf den ich Euch sehr gerne mitnehmen möchte. Und auch wenn ich noch selbst ziemlich am Anfang dieses Weges bin, kann ich Euch jetzt schon garantieren, dass er nun nicht gerade einfach wird, sondern ziemlich herausfordernd. Er wird uns irritieren und Weltbilder verändern, er wird uns damit konfrontieren, dass wir selbst Rassismen in uns tragen und unser Umfeld uns ein Leben lang rassistisch geprägt hat, er wird (vielleicht sogar starke emotionale) Abwehrhaltungen in uns auslösen und er wird von uns verlangen, erst einmal zuzuhören.

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Kein „Schwaches Signal“

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Hanna Jacobs hat in der letzten Woche einen viel beachteten Artikel in „Christ&Welt“ über die digitalen Angebote der evangelischen Kirche in Corona-Zeiten unter dem Titel „Schwaches Signal“ geschrieben. Im Wesentlichen sind darin die PfarrerInnen Thema. Ein solcher bin ich ja – insofern habe ich mich angesprochen gefühlt. Ein paar Tage habe ich nun überlegt, wie ich darauf reagiere.

Vorrede

Zum einen kennen wir beide uns seit einigen Jahren. Wir teilen sogar die Erfahrung, vom gleichen Mentor im Vikariat ausgebildet worden zu sein. Ich schätze Hanna sehr und halte sie für eine Autorin, die ausgesprochen pointiert Dinge benennen kann und bei der ein unterhaltsamer Schreibstil auf theologisch Durchdachtes trifft. Das gibt es überhaupt gar nicht oft und insofern ist sie eine große Bereicherung für die ganze kirchliche Szene und darüber hinaus. Ich bewundere ihre Fähigkeit, immer wieder in großer Regelmäßigkeit interessante Texte in ihrer Kolumne zu schreiben. Dabei bin ich auch völlig einverstanden damit, Dinge hier und da ein wenig zu überzeichnen – mehr als einmal hat sie so Debatten ausgelöst, die wichtig sind. Und wem gelingt das schon? Ich finde das großartig und lerne von ihr. Vor kurzem hatten wir im Raumschiff Ruhr eine ganz wunderbare, warmherzige Begegnung. Und ich erlebe sie zudem als Person, die Widerspruch, wenn er sachlich begründet ist, konstruktiv aufnimmt – auch das kann nicht jede/r. An einem solchen versuche ich mich nun.

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Momentaufnahme nach einer Woche #corona

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Einige eher unsortierte Gedanken nach einer Woche, die möglicherweise Auftakt ist für eine Zeit, die uns und unsere Welt nachhaltig verändern wird. Ich möchte diese Momentaufnahme zum einen für mich notieren, um sie später nachlesen zu können – aber natürlich auch gleich gerne mit Euch teilen. Für mich eine Woche, in der die Anzahl der Kommunikationsvorgänge eine ähnlich steile Kurve nahm wie die Anzahl der in Deutschland Infizierten, eine Woche mit gleichzeitig immer weniger sozialen Kontakte im physischen Sinn, eine Woche mit nicht nur individuellen, sondern gesellschaftlichen Umstellungen von Lebens- und Arbeitsgewohnheiten, eine Woche mit beängstigenden, beglückenden, schwer einzuordnenden, mutmachenden und ernüchternden Erfahrungen.

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Gemeingut: Boden

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Es ist früher Samstagmorgen und ich bin nach einer Nacht auf meiner Isomatte früh im Wohnzimmer Alfter, einem Kulturzentrum am Stadtrand von Bonn, aufgewacht. Innerhalb von einer Stunde hatte das Orga-Team der Wolang?-Konferenz mir diesen Schlafplatz organisiert, nachdem ich erst Mitte der Woche von dieser Veranstaltung gehört und mich spontan angemeldet hatte. Der gestrige Tag bot vieles Neues und Spannendes für mich und ich versuche zu sortieren:

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#wolangboden #gemeinschaft #gemeingut

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Als ich mittags auf das Gelände der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft komme, wird gerade für eine Kunst-Aktion applaudiert, die die Konferenz offenbar eröffnet. Die Erfahrung, Boden zu bewegen, kann hier ganz praktisch ausprobiert werden.

Bei der Anmeldung schreiben Teilnehmer wie Referenten anscheinend alle nur ihre Vornamen auf Klebestreifen – also mache ich das auch so. In der Cafeteria gibt es Mittagessen. Leckere Kürbissuppe wird uns zu den Tischen gebracht. Mir gegenüber sitzt Joachim. Er erzählt mir von seinen Bemühungen um das bedingungslose Grundeinkommen, der Straßenmusik, die er macht und seinem Job als Designer. Unmittelbar haben wir so viele gemeinsame Gesprächsthemen, dass es für ein ganzes Wochenende reichen würde. So geht es mir dann später auch noch beim Kaffee und Abendessen (Brot, Käse und Wein für alle) mit Anna, Dag, Hans, Jan und vielen anderen. Der Abwasch für die 200 Teilnehmenden wird spontan organisiert. Läuft.

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Die Zeichen der Zeit und das globale Schlamassel

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Alle reden übers Klima. Über Johnson und Trump. Unsere verrückte Welt. Und wie es weiter gehen soll. In den vergangenen fünf Tagen haben wir das auch getan. Aber auf ganz andere Weise als sonst häufig. Darüber will ich kurz erzählen.

Das Format „Con:Fusion“ haben wir nun zum dritten Mal in fünf Jahren ausprobiert. Jedes mal war es (wo)anders, jedes mal war es gut. In diesem Jahr waren wir auf dem Lindenhof in Hemmersheim. Das war eine ziemlich gute Wahl, denn der ökologische Ansatz des Hofes vertrug sich gut mit unserem Thema. Gemeinsam wollten wir danach fragen, wie wir als Christen in diesen Zeiten ein neues Verhältnis zu unserer Erde entwickeln können. Wie sich eine widerstandsfähige Spiritualität entfalten kann, die in diesen Zeiten trägt. Wie wir selbst hoffnungsvolle Worte in diese Welt sprechen können und von welchen fremden Worten wir noch lernen können.