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Kirche und Statistik – (leider) eine Geschichte des Dilettantismus

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Ich habe Mathe noch nicht einmal als Prüfungsfach im Abi gehabt und komme schon an meine Grenzen, wenn ich meiner Tochter bei den Hausaufgaben über die Schulter schaue. Aber um zu erkennen, dass Kirche in der Interpretation mancher Zahlen so grobe Schnitzer macht, dass es schlichtweg falsch wird, dafür reicht es selbst bei mir noch. An zwei populären Beispielen möchte ich versuchen, dies deutlich zu machen.

Es geht aus meiner Sicht dabei nicht um Zahlenklauberei, sondern um zum Teil tendenziöse Exegese von Statistiken, die die Zahlen schlichtweg nicht hergeben. In der Folge macht dies dann leider auch die daraus gezogenen Schlüsse zumindest fragwürdig. Mich würde es vermutlich auch nicht stören, wenn es irgendjemand wäre, der die Zahlen so liest, wie es gerade Freude macht, aber da dies gerade durch unser kirchliches Spitzenpersonal passiert, will ich es doch einmal kommentieren.

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Ich bin ein Suchender

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Wir haben uns angewöhnt, die Menschheit einzuteilen in Gläubige vs. Ungläubige. Diese klare Unterscheidung ist nicht nur hilfreich für fundamentalistische Fanatiker bei der Auswahl ihrer Opfer. Er hilft auch vergleichsweise friedfertigen Menschen, sich selbst samt ihrer eigenen Weltanschauung zu verorten. Meiner Wahrnehmung nach beschreiben sich Menschen beider Gruppen oft in Abgrenzung von der jeweils anderen: „Wir sind zwar nicht gläubig, aber wir würden trotzdem gerne bei Ihnen heiraten/unser Kind in Ihrer KiTa anmelden o.ä“. „Ich bin zwar kein Kirchenmitglied, aber das heißt nicht, dass ich nicht glaube.“ So kann man die Welt einteilen: In einerseits die Menschen, die (mehr oder weniger doll/kräftig/intensiv) glauben und andererseits die Menschen, die halt nicht glauben.

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Kein „Schwaches Signal“

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Hanna Jacobs hat in der letzten Woche einen viel beachteten Artikel in „Christ&Welt“ über die digitalen Angebote der evangelischen Kirche in Corona-Zeiten unter dem Titel „Schwaches Signal“ geschrieben. Im Wesentlichen sind darin die PfarrerInnen Thema. Ein solcher bin ich ja – insofern habe ich mich angesprochen gefühlt. Ein paar Tage habe ich nun überlegt, wie ich darauf reagiere.

Vorrede

Zum einen kennen wir beide uns seit einigen Jahren. Wir teilen sogar die Erfahrung, vom gleichen Mentor im Vikariat ausgebildet worden zu sein. Ich schätze Hanna sehr und halte sie für eine Autorin, die ausgesprochen pointiert Dinge benennen kann und bei der ein unterhaltsamer Schreibstil auf theologisch Durchdachtes trifft. Das gibt es überhaupt gar nicht oft und insofern ist sie eine große Bereicherung für die ganze kirchliche Szene und darüber hinaus. Ich bewundere ihre Fähigkeit, immer wieder in großer Regelmäßigkeit interessante Texte in ihrer Kolumne zu schreiben. Dabei bin ich auch völlig einverstanden damit, Dinge hier und da ein wenig zu überzeichnen – mehr als einmal hat sie so Debatten ausgelöst, die wichtig sind. Und wem gelingt das schon? Ich finde das großartig und lerne von ihr. Vor kurzem hatten wir im Raumschiff Ruhr eine ganz wunderbare, warmherzige Begegnung. Und ich erlebe sie zudem als Person, die Widerspruch, wenn er sachlich begründet ist, konstruktiv aufnimmt – auch das kann nicht jede/r. An einem solchen versuche ich mich nun.

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Momentaufnahme nach einer Woche #corona

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Einige eher unsortierte Gedanken nach einer Woche, die möglicherweise Auftakt ist für eine Zeit, die uns und unsere Welt nachhaltig verändern wird. Ich möchte diese Momentaufnahme zum einen für mich notieren, um sie später nachlesen zu können – aber natürlich auch gleich gerne mit Euch teilen. Für mich eine Woche, in der die Anzahl der Kommunikationsvorgänge eine ähnlich steile Kurve nahm wie die Anzahl der in Deutschland Infizierten, eine Woche mit gleichzeitig immer weniger sozialen Kontakte im physischen Sinn, eine Woche mit nicht nur individuellen, sondern gesellschaftlichen Umstellungen von Lebens- und Arbeitsgewohnheiten, eine Woche mit beängstigenden, beglückenden, schwer einzuordnenden, mutmachenden und ernüchternden Erfahrungen.

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Über den Wahrheitsanspruch der Religionen, persönliche Grenzen und Schottys Anbieterwechsel

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In der Regel ist es ja so: Nach dem Gottesdienst stehst Du als Pastor an der Kirchentür, schüttelst den Besucherinnen und Besuchern mit deiner zuvor desinfizierten Hand die ihre – während du zeitgleich Konfi-Pässe signierst – und wünschst allen einen gesegneten Sonntag. Die meisten bedanken sich für den schönen Gottesdienst, wünschen dasselbe und gehen mehr oder minder zufrieden ihrer Wege. Manchmal kommt es vor, dass Einzelne Dir sagen, dass die jeweilige Predigt ganz besonders gut in ihre Situation gepasst habe oder Ihnen das Gesagte einen guten Anstoss gegeben habe. An einzelne Predigten kann ich mich erinnern, die noch über Tage und Wochen Reaktionen hervorgerufen haben, aber die sind auch fast an einer Hand abzählbar.

So ein unterschiedliches Spektrum an Reaktionen wie gestern nach dem Gottesdienst habe ich selten erlebt: Von vielen nachdenklichen und leicht irritieren Gesichtern und dem oft gehörten Ausspruch „ich muss das alles erst noch sacken lassen“ bis hin zu großer Dankbarkeit. Von offenem Widerspruch und Einzelnen, die den Gottesdienst sogar vorzeitig verlassen hatten, bis hin zu überschwenglicher Begeisterung war alles dabei. Manches davon bezog sich auf den gesamten Gottesdienst, anderes auf die Predigt. Für diejenigen, die nicht dabei waren: Wir haben zum zweiten Mal einen Film-Gottesdienst am Abend veranstaltet – dieses mal mit der Folge „Anbieterwechsel“ aus der Serie „Der Tatortreiniger“. Die Episode greift die Frage nach den Religionen und dem Wahrheitsanspruch derselben auf. Ich hab mich über die Vielfalt an Reaktionen gefreut, weil es zum einen ja ganz viel Zuspruch zu Format und Inhalt gab, aber ich auch selbst Widerspruch viel interessanter finde als Indifferenz. Weil einige nachgefragt haben, stelle ich das gestern (ungefähr so) Gesagte gerne auch noch einmal hier zum Nachlesen ein:

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Ein neuer Lebensabschnitt – was vor uns liegt

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Ein neuer Lebensabschnitt? Ich frage mich gerade, ob das nicht etwas hochgegriffen ist. Mein Arbeitgeber bleibt derselbe. Mein Einsatzort/meine Gemeinde auch. Mein Aufgabenbereich ändert sich nur zu einem Viertel meiner Arbeitszeit. Aber irgendwie fühlt es sich trotzdem wie eine Zäsur an. Ich habe überlegt, woran das liegt.

Sicherlich an der Zeitspanne, die ich schon hier bin. Zehn Jahre habe ich noch nie an einem Ort gelebt (bevor ich nach Nordhorn kam, war ich 15 mal in 30 Jahren umgezogen) und es hat sich für mich in den letzten Jahren schon die Frage gestellt, ob das, was ich tue, jetzt einfach immer so weiter geht (wobei das keine Horrorvorstellung war, weil ich das, was ich tue, sehr gerne tue und Nordhorn auch sehr mag) oder ob noch einmal etwas Neues kommt. Dann liegt es vielleicht auch an dem (für mich zumindest gesundheitlichen) Seuchen-Jahr 2019 mit meiner mehrmonatigen Zwangspause, die auch nochmal Dinge sortiert hat. Und vor allem aber hat es mit einer kleinen Gruppe von Leuten zu tun, die sich gerade auf den Weg macht. Dazu gehören Leute, die so etwas wie Seelenverwandte/Komplizinnen/Mitstreiterinnen sind.

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Ein neuer Lebensabschnitt beginnt – was mich in den letzten 15 Jahren geprägt hat

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Es war gegen Ende meines Studiums vor ca. 14 Jahren und ich weiß nicht mehr genau, wie es kam, aber ich bekam zum ersten Mal ein Buch von Brian McLaren in die Hand. Im Nachhinein ist es mir ein Rätsel, warum ich mitten in der Examensvorbereitung steckend nach acht Stunden täglich abends noch freiwillig irgendetwas gelesen habe, aber das war zu einer Zeit, als es noch kein Netflix gab. Und es war zu einer Zeit, in der Buchtitel, die den Wortumfang eines beliebigen Nebensatzes in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik nicht unterschritten, noch irgendwie cool waren. Der Titel von McLarens Buch lautete: „A Generous Orthodoxy: Why I am a missional, evangelical, post/protestant, liberal/conservative, biblical, charismatic/contemplative, fundamentalist/calvinist, anabaptist/anglican, incarnational, depressed-yet-hopeful, emergent, unfinished Christian“.

Ich verschlang das Buch. Denn das war meine Geschichte.

Aufgewachsen in einer Pastorenfamilie, in der ich mein Kinderzimmer-Hochbett regelmäßig für fromme Künstler wie Siegfried Fietz großzügig zur Verfügung stellte und in der zugleich Anti-Atomkraft-Schals getragen und das Enneagramm gelesen wurde, war ich im Laufe meiner bis dahin 26 Jahre zum Teil zufällig und zum Teil gewollt in verschiedenste christliche Traditionen hineingestolpert bzw. hatte diese bewusst aufgesucht: Angefangen von meinem Jugendkreis, der sich an die Konfirmation anschloss und sich irgendwann als zum Verband „Entschieden für Christus“ zugehörig herausstellte, als mir jemand mit 15 eine Mitgliedschaftserklärung unter diese Nase hielt; über die Erfahrung in einer US-amerikanischen Pfingstkirche während eines Schüleraustausches; über das Studium in Bethel und Heidelberg; die mehrjährige Mitgliedschaft in einer Freien Evangelischen Gemeinde; Besuche in Taize; Kontakte zu Benediktinern und Freundschaften zu Baptisten, Buddhisten, Jesus-Freaks, Muslimen und Agnostikern. Unterwegs mit all diesen Menschen und an all diesen Orten hatte ich Neues gelernt, war ich fantastischen Leuten begegnet und hatte sich mein Glaube und Leben weiterentwickelt. Manches stand aber noch merkwürdig unverbunden nebeneinander.

Mit dem Lesen von McLarens Buch tat sich für mich eine neue Welt auf. Auf einmal fanden Dinge zusammen, die mir gleichermaßen wichtig waren: Der Einsatz für die Schöpfung UND für andere Menschen. Das Diakonische UND das Missionarische. Die Bedeutung des Körpers UND der Seele. Das Politische UND das Spirituelle.

In meiner Erinnerung begann für mich mit diesem Buch eine innerliche Reise, die damals auch äußerlich mit einem zweiten Amerikaaufenthalt mit vielen wichtigen Erfahrungen zusammenfiel und seitdem anhält. Das für mich vermutlich wichtigste Netzwerk ist seitdem das Emergent-Netzwerk gewesen – für mich ein ökumenischer Gesprächsraum, ein kreatives Experimentierlabor, ein Ort für geistliche Weggemeinschaft und Freundschaft. Vielleicht weniger vordergründig in meiner doch eher klassischen Gemeindearbeit als Pastor, aber ganz bestimmt in den Tiefenschichten meines Denkens und Glaubens über Gott, diese Welt, ihre Menschen und die Kirche hat mich der Austausch dort sehr geprägt.

Seitdem sind andere Begriffe, Ideen, Netzwerke hinzugekommen, die für mich eine wichtige Bedeutung für meine Sehnsucht von Kirche haben: Kirche2 ist so eine Bewegung, in der ich auf viele Menschen getroffen bin, die mit ähnlichen Fragestellungen und Träumen unterwegs sind. Ich hoffe sehr, dass es mit dem Netzwerk weitergeht. FreshX ist ein Begriff aus der anglikanischen Kirche, der neue Gestaltungsformen von Kirche beschreibt, die zum Teil anders aussehen oder einen anderen vibe haben als unsere klassischen Bilder von Kirche.

Und vor allem aber waren für mich wichtig die vielen Begegnungen mit Menschen in Nordhorn, die sich als glaubend oder nicht-glaubend beschreiben; die schon für etwas brennen oder denen man das (noch) nicht so ansieht; die nach etwas suchen oder schon gefunden zu haben meinen; die das Leben lieben und/oder zugleich am Leben leiden; die etwas für unsere Stadt wollen und denen diese Welt nicht egal ist; die Gott „Allah“ nennen oder „mein Erlöser“ oder „Weltengrund“. Jede Begegnung mit einem anderen Menschen hinterlässt Spuren. Und so haben auch diese Begegnungen mich nachhaltig geprägt als Christ, als Pastor, aber vor allem einfach als Mensch.

Und nach 10 Jahren in Nordhorn und in diesem Beruf beginnt nun mit dem neuen Jahr etwas Neues und Aufregendes. Aber weil dieser Beitrag schon länger ist als alles, was heutzutage bis zum Ende gelesen wird, setze ich später noch einmal neu an in einem neuen Post.

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Gemeingut: Boden

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Es ist früher Samstagmorgen und ich bin nach einer Nacht auf meiner Isomatte früh im Wohnzimmer Alfter, einem Kulturzentrum am Stadtrand von Bonn, aufgewacht. Innerhalb von einer Stunde hatte das Orga-Team der Wolang?-Konferenz mir diesen Schlafplatz organisiert, nachdem ich erst Mitte der Woche von dieser Veranstaltung gehört und mich spontan angemeldet hatte. Der gestrige Tag bot vieles Neues und Spannendes für mich und ich versuche zu sortieren:

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#wolangboden #gemeinschaft #gemeingut

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Als ich mittags auf das Gelände der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft komme, wird gerade für eine Kunst-Aktion applaudiert, die die Konferenz offenbar eröffnet. Die Erfahrung, Boden zu bewegen, kann hier ganz praktisch ausprobiert werden.

Bei der Anmeldung schreiben Teilnehmer wie Referenten anscheinend alle nur ihre Vornamen auf Klebestreifen – also mache ich das auch so. In der Cafeteria gibt es Mittagessen. Leckere Kürbissuppe wird uns zu den Tischen gebracht. Mir gegenüber sitzt Joachim. Er erzählt mir von seinen Bemühungen um das bedingungslose Grundeinkommen, der Straßenmusik, die er macht und seinem Job als Designer. Unmittelbar haben wir so viele gemeinsame Gesprächsthemen, dass es für ein ganzes Wochenende reichen würde. So geht es mir dann später auch noch beim Kaffee und Abendessen (Brot, Käse und Wein für alle) mit Anna, Dag, Hans, Jan und vielen anderen. Der Abwasch für die 200 Teilnehmenden wird spontan organisiert. Läuft.

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Die Zeichen der Zeit und das globale Schlamassel

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Alle reden übers Klima. Über Johnson und Trump. Unsere verrückte Welt. Und wie es weiter gehen soll. In den vergangenen fünf Tagen haben wir das auch getan. Aber auf ganz andere Weise als sonst häufig. Darüber will ich kurz erzählen.

Das Format „Con:Fusion“ haben wir nun zum dritten Mal in fünf Jahren ausprobiert. Jedes mal war es (wo)anders, jedes mal war es gut. In diesem Jahr waren wir auf dem Lindenhof in Hemmersheim. Das war eine ziemlich gute Wahl, denn der ökologische Ansatz des Hofes vertrug sich gut mit unserem Thema. Gemeinsam wollten wir danach fragen, wie wir als Christen in diesen Zeiten ein neues Verhältnis zu unserer Erde entwickeln können. Wie sich eine widerstandsfähige Spiritualität entfalten kann, die in diesen Zeiten trägt. Wie wir selbst hoffnungsvolle Worte in diese Welt sprechen können und von welchen fremden Worten wir noch lernen können.

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Unverfügbarkeit und Resonanz

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In diesem Jahr besuche ich eine dreiteilige Fortbildung zum Thema „Lustvolles Lassen“. Dieses Thema passt gut in die „Zeit der Freiräume“, die unsere Landeskirche ausgerufen hat. Dabei geht es nun allerdings nicht darum, ausgerechnet das Lustvolle sein zu lassen, wie schon jemand vermutete, sondern vielmehr darum, das Lassen von Dingen/Projekten/Terminen auf lustvolle Weise zu praktizieren. Genau das kommt einem ja zunächst oft sehr schwer vor, kann dann aber im Vollzug und im Rückblick tatsächlich nicht nur befreiend, sondern regelrecht beglückend sein. Viele gute Impulse habe ich schon bekommen im Rahmen dieser Fortbildung und im Austausch mit den anderen TeilnehmerInnen.

In diesem Zusammenhang ist mir auch ein Text aus dem neuen Buch von Hartmut Rosa über die Unverfügbarkeit begegnet, den ich hier ein wenig zusammenfassen und kommentieren möchte, weil er mich angesprochen hat (um das „Angesprochen-Werden“ geht es dann übrigens auch in dem Text selbst). Es handelt sich um die Kapitel 2 und 5 (für diejenigen, die das Buch kennen oder zu Hause stehen haben).